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Kategorie: Kultur - Der Kreuzberger

Gesicht eines Mörders von Volker Kaminski

Mit einem Personal von vier Hauptfiguren und nur noch einer erwähnenswerten Nebenfigur und insbesondere ohne einen einzigen Sympathieträger kommt Volker Kaminski (geboren 1958 in Karlsruhe, Alfred-Döblin-Stipendiat, Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg und des Künstlerhauses Edenkoben) in seinem neuen Roman »Gesicht eines Mörders« aus.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der eitle, selbstverliebte Schauspieler Frank, der sich mehr mit seiner Schönheit und seinem bislang einzigen, schon zurückliegenden Erfolg beschäftigt, als mit seiner möglichen Karriere. Mit einer von ihm begangenen, unentdeckten Straftat geht er um, als sei das auch nur eine Rolle gewesen, die er gespielt hat. Zwei junge Frauen – die eine wunderschön, aber kalt, berechnend und verlogen, die andere temperamentvoll, impulsiv und frei von Skrupel, sich zur Komplizin machen zu lassen – manipulieren ihn auf übelste Weise.

Mit Bestechung, Erpressung und Schmeicheleien, versuchen sie Frank dazu zu bringen, einen Mann zu töten, der ihnen im Weg steht. Und das potentielle Opfer, ein feister, gut situierter und selbstgefälliger Weinhändler, weckt beim Leser ebenso wenig Sympathien, wie die anderen. Deshalb funktioniert der durchaus spannende Roman wie ein Gesellschaftsspiel: nach jedem Kapitel werden die Karten neu gemischt, man spekuliert über den Weitergang und wird immer wieder überrascht. (Pausen nach jedem Kapitel sind empfehlenswert, um den Effekt auszukosten.) Auch der Ausgang ist überraschend, auf spezielle Weise versöhnlich und lässt den Leser zufrieden zurück.

Fazit: Eine anregende Reiselektüre, mit Außenabmessungen von 19x12x2 cm und einem Gewicht von grade mal rund 200 g ideal für den Reisekoffer. Die gebundene Ausgabe (zumindest der Prototyp) ist etwas schwergängig beim Blättern. Also am besten nach dem Lesen weitergeben, der nächste Leser hat dann noch mehr davon.

Gesicht eines Mörders – Roman von Volker Kaminski, Lindemanns Bibliothek Band 210, herausgegben von Thomas Lindemann, Info Verlag GmbH, ISBN 978-3-88190-768-2

Geschrieben von jw




Der Mut zur Sünde – Eine Ausstellungssuche in den Kirchen Berlins

Ich gestehe, ich bin eine Sünderin. Üblicherweise beginnen meine Tage mit Trägheit und Wollust. Ich bin neidisch auf die, die heute frei haben mögen. Die Gier nach Kaffee entlädt sich in einem wüsten Zornesanfall, wenn ich entdecke, dass ich vergessen habe welchen zu kaufen. Das Frühstück gerät zu einer sanften Form der Völlerei und ohne es verhindern zu können, bin ich bereits vor der ersten Zigarette mehrmals zur Hölle verdammt. Dabei hatte ich mit der Kirche nie viel zu tun. Bis vor drei Jahren. Als ich im Park lag und plötzlich meinte, eine Bilderserie zu den 7 Todsünden beginnen zu müssen. Ein spannendes Thema. Diskussionswürdig. Warum, fragte ich mich, durchsetzen scheinbar antiquierte Moralvorstellungen auch ein Leben, das noch nie in Berührung mit der Kirche kam? Was wäre das Dasein ohne all diese lässlichen Laster? Welchen Stellenwert hat die Völlerei in Zeiten von Essstörungen, Fotomontage und alltäglich gewordener Körpermodellage? Hat sich die Trägheit in unserer Gesellschaft von einer Sünde zur Tugend gewandelt? Ist Geiz wirklich geil? Oder taugt die Kleidung von »kik« tatsächlich qualitativ wenig, wie letztens jemand erstaunt auf Facebook behauptete?

Die Protagonistinnen der Bilder sollten prächtige, dicke Frauen sein. Stehen sie doch für so ziemlich alle Sünden gleichzeitig: sie sind verfressen, missmutig, träge, wollüstig sowieso und neidisch erst Recht. Sind sie das?

Die Arbeit dauerte über 10 Monate. Groß mussten die Bilder sein, wie sollten solch ein Thema und diese Prachtweiber auf kleinem Format schon wirken? Außerdem gehörte die Serie für mich von Anfang an in einen Kirchenraum, der eben wenig nach Miniaturmalerei schreit. Die Modelle zu finden war ein größeres Dilemma, als ich es geahnt hätte. Eine Anzeige in der Zitty, die nach »sehr üppigen Frauen mit weit ausladendem Gesäß« suchte, erbrachte über Nacht drei Zuschriften von Damen, die sich mit 75 Kilo für fett hielten. Am Ende kamen die Protagonistinnen aus allen Teilen Deutschlands. Es war eine wunderbare Arbeitszeit. Die Auslegung der jeweiligen Bildsujets war fast durchgängig humorig und in meiner Absicht, den frohen Sinn des Sündigens darzustellen, gelöst. Die schönste Trägheit ist die nach dem Sex, der Zorn einer Frau, die ihr Brautkleid in die BSR-Tonne stopft, findet sich in einem befriedigten Gesichtsausdruck, es gibt Dinge auf die es sich lohnt neidisch zu sein und was hat es mit dem Geiz auf sich in einem Dasein mit Hartz IV?

Frohgemut und wissend, 7 Werke geschaffen zu haben, die der Betrachtung, des Nachsinnens und der Diskussion würdig wären, begann ich die Ausstellungsbewerbung. Die bereits eintrudelnden ersten Kaufanfragen zu den Bildern wies ich ab. Nicht, dass ich mir das im Geringsten leisten konnte, aber die Bilder sollten gesehen werden, Denkanstöße liefern, Perspektiven ändern, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern verschwinden. Ausstellungsangebote von Galerien, die wenig Öffentlichkeit boten, passten nicht. Eine Galeristin schlug vor, die Bilder wegen ihrer großen Formate nur zu fünft aufzuhängen und zwei ins Depot zu stellen. Nun heißt die Serie jedoch 7 Todsünden, nicht »Fünf hängen und zwei stehen im Depot«. Eine Kirche in Kreuzberg sagte zu, schrieb mir dann aus Panik vor der Wirkung der Bilder eine völlig idiotische Hängung vor. Geheul und Gestampf der Verantwortlichen und Vorwürfe über meine Sturheit und dann die Absage. In der nächsten Kirche beschloss der einberufene Gemeindekirchenrat, die Bilder wären »den Kirchgängern nicht zuzumuten«. Ich stand gerade unter der Dusche, als ein angefragter Kunstverantwortlicher der Berliner katholischen Kirchen anrief und sehr nett bescheinigte, dass die Bilder toll wären, aber die katholischen Kirchen überhaupt keine Ausstellungsflächen hätten. Die Matthäus-Kirche, die ständig hervorragende Ausstellungen präsentiert, wird von einer Stiftung geleitet, die sich die Kunstförderung auf die Fahnen geschrieben hat und von den Künstlern unter anderem erst einmal einen Nachweis fordert, dass sie von ihrer Kunst leben können. Ein Pfarrer aus Charlottenburg mailte, er hätte die Bilder gern ausgestellt, aber »sich gegen eine ängstliche Mehrheit nicht wehren können«. Ein Projekt, das sich großspurig „Frauen und Kunst“ nennt, von der Europäischen Union, dem Bundesverwaltungsamt, dem Land Berlin und wem noch alles finanziert wird, antwortete plump, für nächstes Jahr gäbe es keine freien Ausstellungen mehr. Viel Glück, Frau Hübner, versuchen Sie es doch woanders. Die meisten Anfragen an sogenannte Kunstkirchen erfuhren nicht einmal eine Antwort. Ansonsten wurden plötzlich die Ausstellungskonzepte geändert, Heizungen eingebaut, nur noch Installationen zugelassen. Und immer wieder wurde die Zumutung der Bilder für sämtliche Kirchenbesucher bescheinigt. Irgendwann war ich mir sicher, die Satanischen Verse gemalt zu haben und nicht in Berlin im Jahr 2013, sondern einer kleinen bayerischen Gemeinde zu leben.

Nach weit über zwei Jahren ein kaum noch erwartetes Happy End dieser Absurditäten. Pfarrerin und Pfarrer der Martin-Luther-Kirche in Neukölln war von den Bildern hingerissen. »Das machen wir, Frau Hübner.« Die für ein sehr offenes Gemeindeleben bekannte Kirche besitzt unter anderem ein Altarbild, in dem sinnreicherweise auch ein fröhlich hinterm Strauch hervorblinzelnder Teufel vorkommt. Das Kunstfestival 48h Neukölln rief das Thema »Courage« aus, die Serie wird in diesem Sinne und als Festivalbeitrag ausgestellt. Gegen wiederum aufkommende Bedenken setzte sich der Pfarrer Alexander Papst durch, was dem Festivalthema nur gerecht wird. Begleitet wird die Ausstellung von weiteren Künstlern wie Thomas Papst und Stella Ahangi, die prächtige eigene Interpretationen zum sündigen Lebensentwurf präsentieren. 3 Tage lang werden die Bilder nun endlich zu sehen sein. 7 dicke Frauen mit dem Mut zur Sünde.

Geschrieben von Sandra Hübner

Ausstellung »Zwischen Entzücken und Bedauern – zur Aktualität der 7 Todsünden«, Martin-Luther-Kirche Neukölln, 27.6.-29.6.2014

www.sandrahuebner.de




4Shorts – Die ideale Webserie für Zwischendurch – Von und mit Rahel Fiona Juschka

Seit August letzten Jahres dreht ein kleines, professionelles Team in Berlin eine Webserie nach einem ganz neuen Konzept. Inzwischen sind schon neun Folgen der ersten Staffel im Kasten und über YouTube jederzeit kostenlos abrufbar.

»4Shorts ist deine erste Serie für Zwischendurch! In vier humorvollen Szenen erkennst du dich in den verrücktesten Alltagssituationen und Beziehungsgeflechten wieder. Tolle Darsteller garantieren die perfekt genutztesten 10 Minuten des Tages. Wann immer und wo immer du 10 Minuten Überbrückungszeit hast, schaue 4Shorts auf Youtube und entfliehe deinem Alltag in die witzigste Parallelwelt, die Deutschland zu bieten hat«, empfiehlt Rahel Fiona Juschka, Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin von 4Shorts, die in der Serie außerdem selber eine durchgängige Hauptrolle spielt und den Soundtrack selber singt. Vor Drehbeginn der neunten Folge haben wir sie zum Interview getroffen.

Wie und wann kamst du auf die Idee, und wie lange hat es dann bis zu den Dreharbeiten gedauert?

Rahel: Das tägliche Leben ist für viele Menschen ein harter Kampf, sowohl beruflich als auch zwischenmenschlich. Ich glaube, dass es aber immer auch immens eine Einstellungsfrage ist. Mit 4shorts wollte ich die Realität auf humorvolle Weise spiegeln und uns die Möglichkeit geben, nicht alles so ernst zu nehmen. Bei mir ist das Prinzip, was du jetzt nicht machst, machst du nie, und lieber etwas nicht Perfektes gleich als etwas Perfektes nie. Damit verging nicht einmal ein Monat zwischen der Idee, dem Konzept und dem ersten Gespräch mit Darstellern.

Gibt es irgendwelche Vorbilder?

Rahel: Für 4Shorts gab es in dem Sinne kein Vorbild, sondern eher eine Vorstellung davon, wie die Serie nicht sein sollte. Ich wollte gerne so nah am Leben wie möglich sein und die Charaktere so natürlich wie möglich erhalten, um dieses als Basis für eine Überzeichnung an bestimmten und bewusst eingesetzen Stellen nehmen zu können. Im deutschen Fernsehen vermisse ich oft die schauspielerischen Fähigkeiten der Darsteller, realistisch spielen zu können. Bei 4Shorts suchen wir gezielt nach tollen Darstellern, die dieses beherrschen oder setzen Laien ein, die von Natur aus bestimmte Charakteristiken mitbringen.

Wo und wie hast du die Darsteller und dein Team gefunden, die ja (bisher) ohne Gage mitmachen, weil die Serie zwar gut ankommt, aber bisher noch keine Einnahmen abwirft?

Rahel: Das mit den Darstellern ist wie ein Wunder. Das Format strahlt so viel Anziehungskraft aus, dass die Darsteller eher mich gefunden haben als andersherum. Es hat sich herumgesprochen und irgendwer hat immer irgendwen mit angeschleppt und vorgestellt und meistens hat das dann perfekt gepasst. Noch dazu ist der Umgang miteinander und die Arbeitsatmosphäre so besonders, dass wir das Projekt schon alleine deshalb fortführen, weil sich jeder voll und ganz einbringt und so viel Engagement an den Tag legt, dass es mich unendlich beflügelt. Mittlerweile ist auch das Team hinter den Kulissen großartig aufeinander eingespielt und jeder hat seinen Bereich vom Drehbuch über die Dramaturgie/ Regieassistenz zur Produktionsassistentin.

Von Anfang an dabei ist Jean Denis Römer, der sonst als Darsteller bei Film, Fernsehen und Werbung sein Geld verdient und unter anderem in einer aktuellen internationalen Kinoproduktion eine Hauptrolle gespielt hat (coming soon: »Baga Beach«, 2013 in Indien gedreht und dort grade mit einem National Award ausgezeichnet) in der durchgängigen Hauptrolle Jan.

Rahel: Jan ist die Hauptfigur der Serie. Er ist ein typischer stereotyper Mann, etwas chauvinistisch und mit einem großen Ego! Nach der Trennung vom selber langjährigen Freundin merkt er immer mehr, wie sein Weltbild und sein Blick auf die Frauen eine Schieflage bekommt, die ihn aus dem Gleichgewicht bringt. Allen voran die beiden wunderbaren Darstellerinnen Katja Proxauf und Sophie Duda. Emanzipiert, unabhängig, zweifelnd und mit der Sehnsucht nach der großen Liebe. Alles spinnt sich um die Entwicklung des ersten Autos nur für die Frau, wobei sich der Geschlechterkampf aufs Feinste manifestiert.

Daneben stehen die Einblicke in das spießige Leben von Peter und Lucy, das reizend unterschiedliche Ehepaar Natalie und Gerhard, die sich gern in das Leben ihrer Tochter einmischen, und Karl und Christine die eine »normale« Beziehung zu führen scheinen, doch was ist schon normal? Und Mareike, David, Franz und Micha fühlen sich von dem modernen Leben dazu genötigt dich immer und immer wieder neu zu erfinden und das Geheimnis zu lösen, wie man glücklich wird!

Wo habt ihr schon überall gedreht und wie kommst du an die Drehorte?

Rahel: Für mich sind Drehorte das, was einen Film lebendig macht, dem Auge etwas zu sehen gibt. Im Fall von 4Shorts drehen wir in der Hauptstadt und wollen die Menschen motivieren sich mehr in der Stadt umzusehen und inspirieren zu lassen.

Oft entwickeln wir die Szenen auf Basis der Drehorte. Bars und Restaurants sind beliebt bei uns, aber auch saisonale Geschichten wie Weihnachtsmärkte und Events lassen wir nicht aus. Jeder Bezirk bietet auf seine Art außergewöhnliche Plätze, und gerade für Kreuzberg gehen einem die Ideen nie aus. Mittlerweile wenden sich sogar die Locations uns und darüber freuen wir uns sehr!

Wie ist die Perspektive für 4Shorts? Zwölf Folgen der ersten Staffel sind voraussichtlich im August 2014 abgedreht. Wie geht es dann weiter?

Rahel: Wir möchten gerne ein fortlaufendes Programm aus 4Shorts machen, mit einem Thema für jede Staffel, wofür Drehorte und Darsteller sich bewerben können. Eine verlässliche Kurzserie bei der die Menschen kaum erwarten können die nächste Folge zu sehen!

Danke für das Interview und viel Erfolg mit 4Shorts!

Geschrieben von jw

4Shorts facebook-Seite:

https://www.facebook.com/pages/4Shorts/543062859092319

4Shorts bei YouTube: https://www.youtube.com/channel/UCuDip_5D2M-_umWP1QCSZrg/videos




Berlinale goes Eiszeit

Kreuzberger Kiez-Kino macht Karriere bei den Internationalen Berliner Festspielen

Beim dritten Anlauf hat es geklappt. Das Eiszeit Kino im Wrangelkiez (Zeughofstraße 20) wurde für die Veranstaltungsreihe „Berlinale goes Kiez“ ausgewählt und gehörte damit zu den offiziellen Festivalkinos der 64. Internationalen Berliner Filmfestspiele. Einen Tag lang war die Berlinale hier zu Gast, und die Organisatoren, Kinobetreiber und Besucher waren gleichermaßen glücklich über das Arrangement.

„Berlinale goes Kiez“ wurde 2010 zum 60. Berlinale-Jubiläum als zusätzliche Veranstaltungsreihe ins Programm aufgenommen, was von Anfang an hervorragend ankam. Die Berlinale wählt seitdem jedes Jahr sieben Kiezkinos in verschiedenen Bezirken aus, die jeweils für einen Tag eingebunden werden, mit rotem Teppich und allem drum und dran. Bewerben kann man sich dafür nicht. Für das Kreuzberger Eiszeit Kino interessierten sich die Verantwortlichen schon 2012 und 2013. „Aber da hatten wir noch einen gewissen Renovierungs- und Modernisierungsbedarf“, berichtet Geschäftsführer Rainer Krisp. Inzwischen sind alle wichtigen Renovierungsarbeiten erledigt, die beiden Kinosäle technisch auf dem neuesten Stand gebracht und somit endlich alle Hindernisse beseitigt. Die Eintrittskarten gingen, wie zu erwarten war, weg wie warme Semmeln. Im Internet war das Online-Kontingent in Sekundenschnelle ausverkauft, und die Karten an den zentralen Vorverkaufskassen waren innerhalb von Minuten vergriffen. Ein weiteres Kontingent bekam das Kino zum Direktverkauf, aber auch das war ganz schnell verkauft, so dass alle, die erst während der Berlinale darauf aufmerksam wurden, leider keine Chance auf eine Eintrittskarte mehr hatten. Gezeigt wurden zwei Vorführungen aus den Sektionen „Kulinarisches Kino“ und „Berlinale Shorts“, dem Kurzfilm-Wettbewerbsprogramm. Die Filme wurde von der Berlinale vorgegeben, aber die Auswahl hätte gar nicht besser sein können: Zum italienisch-kulinarischen Film Cavalieri della Laguna von Walter Bencini gab es im Anschluss ein passendes Menü in der Markthalle Neun, was durch die Nähe zur Eisenbahnstraße für die Besucher ganz ideal war. Und die Kurzfilmauswahl  passte ebenfalls hervorragend zum Eiszeit Kino: „Kurzfilm zeigen wir gern und viel. Das ist für die  ganzen Mitarbeiter hier eine leidenschaftliche Angelegenheit, neben dem Dokumentarfilm.“ Die  Leidenschaft für Dokumentarfilme zeigt sich im aktuellen Eiszeit- Kinoprogramm auf den ersten  Blick. Täglich läuft hier mindestens ein gut gewählter, künstlerisch und inhaltlich relevanter  Dokumentarfilm, an manchen Tagen sogar zwei, und das immerhin zur zweitbesten Sendezeit. Der Beleg für die Liebe zum Kurzfilm findet sich erst auf den zweiten Blick, ist dafür aber umso bemerkenswerter. Was früher gang und gäbe war, inzwischen aber nur noch in den wenigstens Kinos und bei den wenigsten Festivals gepflegt wird, ist hier Standard: Damit möglichst viele Kurzfilme dorthin kommen, wo sie hingehören, beteiligt sich das Eiszeit Kino an der Kampagne „Kurz vor Film – Mehr Vorfilme im Kino!“ und zeigt als Vorprogramm zum Hauptfilm regelmäßig einen kurzen Film. (Bravo! – Das ist angewandte Filmförderung.)

Sieger-Kurzfilm lief im Eiszeit Kino

Auch auf der Berlinale liefen früher Kurzfilme vor den Hauptfilmen, bis 2006 die Sektion für kurze  Filme gegründet wurde. Davon erhofft man sich bessere Möglichkeiten, neue Tendenzen ausfindig zu machen und die einzelnen Filme aufeinander wirken zu lassen. Zwei solche Trends zeichneten sich bei den Shorts an, zum einen als Stilmittel das Verwischen der Grenzen zwischen Fiktionalem und Dokumentarischem, wobei erst im Verlauf des Films klar wird, ob die Situation inszeniert wurde oder authentisch ist. Außerdem geht der Trend zum relativ langen Kurzfilm (zwischen 20 und 30 Minuten). Dazu gehört der Siegerfilm aus Frankreich, der mit dem Goldenen Bären für den besten Kurzfilm ausgezeichnet wurde: „Tant qu’il nous reste des fusils à pompe“ (As long as shotguns remain) von Caroline Poggi und Jonathan Vinel, der in der Kurzfilmauswahl im Eiszeit Kino zu sehen war. Besonders viel Aufmerksamkeit hatte von vorne herein der Film „Three Stones for Jean Genet“ von Frieder Schlaich, prominent besetzt mit der US-Musikerin Patti Lee Smith. Eine Weile hielt sich zudem das Gerücht hartnäckig, dass die Rock- und Punk-Ikone zur Vorstellung in Kreuzberg erwartet wird. Das wurde dann aber von offizieller Stelle dementiert.  „Insofern ist die Prominenz an uns vorüber gegangen. Aber das macht auch nichts“, meint Rainer Krisp. „Wir sind ein Hinterhofkino. Den Glamour können wir den großen Filmpalästen überlassen.“

jw

Untertext zum Foto:

Roter Teppich und großer Bahnhof für einen Tag. Das Berlinale Gastspiel im Eiszeit Kino war ein großes Fest für alle Beteiligten und ein voller Erfolg für das kleine Kino.

Info:

Das Eiszeit-Kino wurde bereits 1981 gegründet. Während der ersten vier Jahre war der Standort des Untergroundkinos allerdings in Schöneberg und erst seit 1985 in der Zeughofstraße im Wrangelkiez. Das Kinoprogramm ist breit gefächert, vom Kinderfilm am Nachmittag bis zum harten Horrorfilm am späten Abend, immer auch mit einem Anteil unangepasster Filme, jenseits der kommerziellen Trends. Kurzfilme im Vorprogramm: Welche Kurzfilme als Vorfilm laufen, ist nicht in der ProgrammÜbersicht ausgewiesen. Das kann man aber jederzeit aktuell auf der Kino-Website unter der Rubrik „Kurz vor Film“ nachsehen, oder natürlich an der Kinokasse erfragen.

Im Internet unter www.eiszeit-kino.de




Hofer Filmtage – Neuentdeckungen, neue Preise und neue Gesichter

Einmal im Jahr ist Hof H(ome)O(f)F(ilms) mit den Internationalen Hofer Filmtagen als Schaufenster und Leistungsschau des deutschen Films, Heinz Badewitz präsentiert als Talentscout mit dem siebten Sinn für das Besondere seine Entdeckungen. – Übrigens sind die Hofer Filmtage vermutlich das einzige Festival, bei dem (zumindest kleine) Hunde mit ins Kino dürfen! – Kinder aber nicht, was daran liegt, dass die Premierenfilme vielfach so neu sind, dass noch keine Einstufung für die Altersbegrenzung vorliegt.

Bei der 47. Auflage waren viele Berliner Filmschaffende mit neuen Produktionen vertreten. Insgesamt 67 Lang- und 47 Kurzfilme gab es zu sehen, darunter 30 neue deutsche Spiel- und Dokumentationsfilme und etliche internationale Koproduktionen mit deutscher Beteiligung.

Neue Preise in Hof

Bei den Preisen gab es diesmal eine ungewöhnliche Häufung: Den wichtigen neuen Förderpreis für Nachwuchsfilmer, den »Förderpreis Neues Deutsches Kino« (vorher »Förderpreis Deutsches Kino«) und die damit verbundenen 10.000 Euro, gestiftet von Bavaria Film, dem Bayerischen Rundfunk und der DZ Bank, erhielt Bastian Günther (Jahrgang 1974, Regiestudium an der DFFB First Step Award 2006) für den größtenteils in Amerika gedrehte Film »Houston«, der in einer ganz ungemütlichen Hochleistungs-Wirtsschaftswelt spielt: Clemens Trunschka (Ulrich Tukur), ein Headhunter, dessen Karrierekurve dem Ende zu geht, erhält genau zur richtigen Zeit noch einmal die Berufschance seines Lebens und mobilisiert alle Reserven, um den Auftrag erfolgreich zu Ende zu bringen.

Ulrich Tukur, obwohl inzwischen schon Jahrgang Ü50, momentan ein extrem gefragter Schauspieler, der Film- und Fernsehhauptrollen beinahe im Akkord spielt, stellt den derangierten, alkoholkranken Anti-Helden, der nur durch seine Berufsroutine die Fassade noch aufrecht erhalten kann, perfekt dar. Ihm ist es zu verdanken, dass der Film, für den man sich aufgrund der spröden Wirtschafts-Thematik erst erwärmen muss, hervorragend funktioniert.

Für den gleichen Film gab‘s obendrein – nach Entscheidung einer weiteren unabhänigen Fachjury – den Millbrook Autorenpreis. Die Jury, bestehend aus Berlinale Perspektive-Leiterin Linda Söffker, SPIEGEL-Redakteurin Hannah Pilarczyk, Regisseur und Drehbuchautor Burhan Qurbani, Schauspielerin Peri Baumeister und Produzent Amir Hamz, lobte vor allem »die virtuos in der Balance gehaltene Erzählweise«. Dieser Preis wird seit 2012 für einen Langfilm aus dem Hauptprogramm vergeben »als Beitrag zur Unterstützung und Förderung der Drehbuch- und Stoffentwicklung«, die nach Meinung der Millbrook Picture GmbH »noch immer ein Schattendasein in der deutschen Filmlandschaft fristet« … (Wahrscheinlich wurden deshalb schon im Vorfeld nur wenige der in Frage kommenden Erst-, Zweit- und Dritt-Autorenfilme, d.h. Filme, bei denen der Regisseur auch das Drehbuch geschrieben hat, nominiert?). Derartigen Klagen kamen vom den Stiftern des Preises für Kostüm- und Szenenbild nicht. Der »Bildkunst Förderpreis Bestes Kostümbild Bestes Szenenbild« ging an Stefanie Hinterauer für das Szenenbild bei »Sunny« und »Antons Fest« und an Svenja Gassen für das Kostümbild in »Couchmovie«.

Gar nicht mehr vergeben wird leider der Kodak Eastman-Förderpreis (KEF) für Nachwuchsregisseure, der mit hochwertigen Filmmaterial dotiert war. Unter anderem hat Florian Henckel von Donnersmark 2005 seinen oscar-prämierten Kultfilm »Das Leben der anderen« auf Kodak-Filmmaterial gedreht, das er zusammen mit seinem Bruder Sebastian als Förderpreisträger 2002 für einen Kurzfilm in Hof erhalten hat. Zu den ehemaligen KEF-Preisträgern gehört auch Marc Rensing, dessen neuen Film Heinz Badewitz als Eröffnungsfilm ausgewählt hat: »Die Frau die sich traut« handelt von einer ehemaligen Leistungsschwimmerin, die ihrer Familie zuliebe auf eine sportliche Karriere verzichtet. Jahrzehnte später wird sie von einer Krebsdiagnose aus ihrem Alltag und ihren Gewohnheiten gerissen, aber sie bricht darüber nicht zusammen, sondern verfolgt noch einmal mit aller Kraft ihren Lebenstraum.

In diesem Film glänzen zwei Berliner Schauspielerinnen: Die fabelhafte Charakterdarstellerin Steffi Kühnert (»Halt auf freier Strecke«) in der Hauptrolle und Jenny Schily (»Die Stille nach dem Schuss« und in Hof auch noch im Cast von »Houston«) in einer wichtigen Nebenrolle. Mehrere Theaterpreise, einen Fernsehpreis und den Bayerischen Filmpreis hat Steffi Kühnert schon. Hiermit könnten gut noch weitere dazu kommen. Der Film ist inzwischen schon im Kino und wird dort hoffentlich noch lange bleiben, weil die Geschichte nicht nur kranken Menschen viel Mut machen kann.

Julia von Heinz, seit 2002 immer mal wieder in Hof, stellte ihren pädagogisch wertvollen neuen Spielfilm »Hannas Reise« vor, eine »Romantik- und Culture-Clash-Komödie« nach dem Roman »Das war der gute Teil des Tages« von Theresa Bäuerlein: Karoline Schuch spielt eine ehrgeizige junge Frau, die durch die Geschichte ihrer Mutter, deren Beruf und den eigenen Vornamen genug Gründe hätte, sich mit Israel zu befassen. Sie tut das schließlich und reist für ein Praktikum dorthin, aber aus ganz schnöden Gründen, um ihre Biografie vor einem wichtigen Bewerbungsgespräch aufzuhübschen. Am Ende bezieht daraus ganz anderes und viel mehr, als sie erwartet hatte.

Neue Gesichter in Hof

Neben den mit Spannung erwarteten neuen Beiträgen der Festival-Stammgäste gab es diesmal etliche bemerkenswerte Debüts.

Einer der schönsten Filme des Festivals war »The Lunchbox«. Das Spielfilmdebüt von Ritesh Batra Spielfilmdebüt wurde mit reichlich Fördermitteln in indisch/französisch/deutscher Koproduktion realisiert, bekam in Holland, Italien und Frankreich schon wichtige Auszeichnungen und hat eine Oscarnominierung für die Kategorie »Bester nicht-englischsprachiger Film« nur knapp verpasst. »The Lunchbox« ist ein Gegenentwurf zu den üblichen oppulenten Bollywood-Filmen: Durch Zufall bahnt sich in der Betriebsamkeit der Stadt Mumbai unter wesentlichem Zutun der landestypischen Essenslieferanten Dabbawallas eine wunderbar zarte Liebesgeschichte zwischen einer jungen Hausfrau (Nimrat Kaur in ihrer ersten großen Rolle) und einem älteren Mann (Irrfahn Khan, in Europa u.a. bekannt aus »Life of Pi«) an.

Aus einer ganz besonderen Konstellation heraus ist der Film von Isabell Šuba »Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste« entstanden: Die Regie-Meisterschülerin der HFF »Konrad Wolf« Potsdam-Babelsberg wurde 2012 mit ihrem Kurzfilm »Chica XX Mujer«, einen gesellschaftskritischen Film über Jugendliche in Venezuela, zu den Filmfestspielen in Cannes eingeladen. Und diese Einladung nutzte sie, um – quasi undercover, ohne formelle Drehgenehmigung – ihr erstes Spielfilmprojekt zu drehen, dass die mutmaßlich mangelhafte Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Filmbranche aufzeigt.

Das Ganze ist dadurch ein sehr interessantes Experiment mit der Wirklichkeit. Den roten Teppich, auf dem die Frauen dem Vernehmen nach anderswo hauptsächlich als schöne Staffage in tiefausgeschnittenen Kleidern gern gesehen sind, gibt es wenigstens in Hof überhaupt nicht. Im Gegenteil hat die Stadt Hof vor einiger Zeit die Straße vor dem Centralkino in der Mitte rot gepflastert – als Einladung an alle, selber über den »roten Teppich« ins Festivalkino zu gehen. Und für die Beteiligung am Festival gilt für Filmemacher hier seit eh und je: Wer talentiert ist, darf seinen Film zeigen und bekommt vielleicht sogar einen Preis. Ob Mann oder Frau tut dabei nichts zur Sache, und die Beschaffenheit der Brüste schon gar nicht.

Deshalb wirkt die Botschaft »nehmt talentierte Regisseurinnen erst« nicht so brisant wie beabsichtigt. Vor allem kommt der Film leider längst nicht so leicht und locker daher, wie es die Beschreibung und das Katalogfoto erwarten lassen, sondern ist eher anstrengend anzuschauen. Einen tollen Erfolg konnte Isabell Šuba mit diesem Projekt schon im Vorfeld erzielen: Finanziert wurde der Film durch eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne bei Startnext, wo 250 UnterstützerInnen insgesamt 9.000 Euro gespendet haben!

Zu den Neuentdeckungen, die man lange nicht mehr vergisst, zählt die Dokumentation »One Zero One« von Tim Lienhard über die international bekannten Dragqueens Cybersissy und BayBjane. Lienhard porträtiert in seinem Erstlingsfilm ihre Geschichte und ihr Privatleben, folgt ihnen bei ihren Auftritten vor und hinter die Kulissen, begleitet sie auf Partys, lässt beide immer wieder selber zu Wort kommen. So gelingt ein schillerndes, fast schon märchenhaftes filmisches Kaleidoskop, mit dem sich beide offenbar sehr gut identifizieren können. Zur Deutschlandpremiere in Hof begleiteten sie den Regisseur und zogen alle Blicke auf sich. Auf YouTube findet man einen internationalen und einen deutschen Trailer von »ONE ZERO ONE – The story of Cybersissy & BayBjane«, die insgesamt schon über 8.000 Aufrufe haben. Kinostart ist am 2. Januar, und auf der facebook-Seite zum Film kann man verfolgen, wo aktuelle Screenings des Films stattfinden.

Der spektakulärste Dokumentarfilm der Hofer Filmtage und ein ganz wichtiger Film, der ein Umdenken in Sachen Klimapolitik bewirken kann, ist »Chasing Ice« (auf deutsch bedeutet das in etwa »das Eis verfolgen«): Eine alarmierende Dokumentation von Jeff Orlowski über die Arbeit des Fotografen James Balog, der seinerseits mit immensem technischen und körperlichem Einsatz über mehrere Jahre die Veränderungen der Gletscher dokumentiert. Die Bilder sind wunderschön und die Ergebnisse bestürzend.

Der Film fand in Hof überaus große Beachtung, und es wurden wegen der hohen Kartennachfrage noch mehrere Zusatzvorstellungen ins Programm genommen. Seit November läuft »Chasing Ice« in Deutschland und Österreich auch im Kino – in Berlin beispielsweise aber leider nur mit mäßiger Resonanz. Für den Oscar 2013 war der Film übrigens nominiert – allerdings nicht etwa als bester Dokumentarfilm, sondern für den besten Film-Song …

Kunstgut Kurzfilm

Bemerkenswerte Neuentdeckungen gab es erwartungsgemäß ebenso im Kurzfilmbereich, der in Hof konsequent gepflegt wird: Was der Initiative »Kurz vor Film«, die Kinobetreiber ermutigen wollte, vor dem Hauptfilm nicht nur Werbung und Werbetrailer zu zeigen, sondern jeweils einen Kurzfilm voranzustellen, nicht gelungen ist – darauf legt Festivalleiter Badewitz großen Wert und hat mitunter seinen Spaß daran, auf diese Weise zwei ganz gegensätzliche Filme zu kombinieren.

Mit einem ganz brillanten Kurzfilm konnte der Berliner Filmemacher Horris, der bereits seit Jahren Außergewöhnliches und Hochwertiges unter dem Label Horris Film produziert, den Festivalchef Heinz Badewitz diesmal – nach mehreren Anläufen – überzeugen. Spannend blieb es auch diesmal bis wenige Wochen vor Festivalbeginn, aber dann kam die Zusage vom Chef selber per Telefon. Horris: »Eine echte Überraschung, denn damit rechnet man nicht.« Vor Ort war vor der Vorführung auch noch Gelegenheit für ein sehr anregendes persönliches Gespräch mit Heinz Badewitz und nach der Vorführung für den Dialog mit dem Publikum, was in Hof viel zwangloser möglich ist, als bei vielen anderen Festivals.

Angekommen! – Horris in Hof. (Foto: Diaz)

Inhaltlich ist der Kurzfilm »White Buttons« von Horris ein Psychogramm einer gescheiterten Ehe mit ganz perfiden und kriminellen Nebenwirkungen, filmisch auf hohem Niveau umgesetzt. Gedreht wurde der Film auf Englisch, was bei Horris Film ab sofort nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein soll: »Wir planen in Zukunft fast ausschließlich auf Englisch zu drehen. Damit verfolgen wir den Plan, uns möglichst offen für den internationalen Markt aufzustellen.«

Ausgezeichnete Schauspieler dafür hatte er teilweise bereits an der Hand (Holger Handke, der seit Jahren bei allen wichtigen Produktionen von Horris dabei ist), bekam er teilweise auf Empfehlungen (Valerie Schneider und Charles Rettinghaus) und in einem Fall durch eine Festivalbegegnung: »In Biberach besuchte ich gemeinsam mit Holger Handtke den Film, in dem Anita Olantunij eine Hauptrolle spielte. Nachdem sie sich dort meinen Film ,Bild von ihr‘ angeschaut hatte, war eine Sympathie schnell gefunden, und die Idee einmal gemeinsam einen Film zu drehen entstand.« Das wurde schon wenige Monate später mit »White Buttons« eingelöst.

Eine kommerzielle Auswertung des Filmes ist übrigens nicht geplant. Horris: »Das ist zwar möglich, aber kein sonderlich erstrebenswertes Geschäftsmodell. Kurzfilme bleiben einfach immer idealitisches Kunstgut.«

Auf jeden Fall war »White Button« für den 33-Jährigen genau das Richtige für einen Einstand nach Maß bei den Internationalen Hofer Filmtagen. Und nachdem Heinz Badewitz dafür bekannt ist, vielversprechende Talente nicht mehr aus den Augen zu lassen, darf auf viele weitere Hof-Auftritte von Horris gehofft werden.

Geschrieben von Jutta Wunderlich

Infos:

Horris –geboren 1980 in Zerbst/Sachsen-Anhalt. Studium der Literaturwissenschaften und Philosophie in Bielefeld. Regieausbildung bei Walter Blohm. Tätig als Regisseur (Horris“, Drehbuchautor und Filmproduzent (Florian Anders). Im Internet unter www.horris.de

Nachgetreten: In Cannes wurde »Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste« übrigens abgelehnt




Nicht nur für Kinder – Märchenklassiker der Brüder Grimm

Weihnachtszeit ist Märchenzeit, und 2013 ist Brüder-Grimm-Jahr, weil seit 200 Jahren deren »Kinder- und Hausmärchen« im Handel sind und vor 150 Jahren Jacob Grimm und der viel weniger bekannte Ludwig Emil Grimm, der die Märchensammlung seiner Brüder Jacob und Wilhelm illustriert hat, gestorben sind. Grund genug also, zum Jahresende schnell noch mal die Grimm‘sche Märchensammlung herzusuchen oder eine der kultigen Märchenverfilmungen anzuschauen.

»Kinder brauchen Märchen« – was 171 Jahre später der amerikanische Kinderpsychologe und Psychoanalythiker Bruno Bettelheim ausführlich ein ganzes Buch lang begründet, haben sich die Brüder Grimm wohl auch schon gedacht, als sie sich 1806 an die Fleißarbeit gemacht haben, alle damals bekannten »Kinder- und Hausmärchen« zusammenzutragen. Schließlich haben sie die Erstausgabe der Märchensammlung dem kleinen Sohn ihres Freundes Achim von Armin gewidmet.

In erster Linie war das Ganze allerdings eine Auftragsarbeit mit hohem wissenschaftlichem Anspruch und in der Erstauflage mit entsprechend vielen trockenen sprach- und literaturwissenschaftlichen Ergänzungen. Gleichzeitig war dieser Job den Brüdern Grimm eine Herzensangelegenheit, die überlieferten Erzählungen als »Nationalschatz« für immer zu sichern. Nach sechs Jahren war es soweit. Die erste Ausgabe mit 161 Erzählungen in zwei Bänden kam bei den Lesern allerdings noch nicht so gut an: Kurz vor Beginn der Biedermeierzeit wollten die Menschen nicht so gern wüste Gewaltgeschichten und Abenteuer mit sexuellen Übergriffen (in der Dornröschen-Urfassung vergeht sich zum Beispiel der Prinz erst mal an der schlafenden Prinzessin, bevor er sie wachküsst, und Rapunzel war zum Zeitpunkt ihrer Befreiung längst schwanger, weil sie das Haar öfters mal für vorbeiziehende Prinzen heruntergelassen hatte) hören und lesen.

Da war die von Wilhelm Grimm überarbeitete Neuauflage von 1819 schon eher massentauglich. Wilhelm hatte hier die schlimmsten Grausamkeiten und »moralisch Anstößiges« weggelassen die Handlung allzu langer Geschichten gestrafft und bei diversen Märchen (u.a. Hänsel und Gretel, Schneewittchen) die Schuld am Unglück der Kinder der Stiefmutter gegeben, anstatt der leiblichen Mutter wie im Original. Noch besser ging die abgespeckte Version von 1825 mit 50 handverlesenen Märchen und zusätzlichen romantischen Illustrationen von Emil Ludwig Grimm über den Ladentisch und lag von da an wohl regelmäßig unter dem gerade erst eingeführten Weihnachtsbaum.

Dass die Märchensammlung »Deutscher Kinder- und Hausmärchen« nicht noch viel schmaler geworden ist, ist Jacob Grimm zu verdanken, der kein Problem damit hatte, Märchen aus anderen Ländern »einzubürgern«. Trotz der Liebe zu seinem Heimatland hat er alle Völker und Kulturen geachtet und geschätzt und daraus jeweils das Beste für sich und seine Märchensammlung bezogen. (Auch der gerade erwähnte, scheinbar typisch deutsche Weihnachtsbaum wurde übrigens nicht in Deutschland erfunden, sondern kam auf Umwegen in die deutschen Wohnzimmer. In Elsass stand er schon eher in den Stuben.) Ohnehin ist die Urheberschaft der Volksmärchen oft ganz schwierig zuzuordnen, und einzelne Motive gehen auf mittelalterliche Sagen zurück. Aus Italien stammen jedenfalls so bekannte Märchen wie »Tischleindeckdich«, »Rapunzel«, »Der gestiefelte Kater«, »Aschenputtel«, »Schneewittchen« und »Dornröschen«, wobei die vier Letzteren erst ins Französische übersetzt und in Frankreich weitererzählt wurden. Außerdem kamen Märchen aus »1001 Nacht« durch französische Übersetzer nach Europa, und Rotkäppchen (Le Petit Chaperon rouge) ist von Haus aus Französin.

Von »Frau Holle« lässt sich überhaupt nur sicher sagen, dass es sich um eine europäische Sagengestalt handelt. Auch die Herkunft von Hänsel und Gretel ist nicht zweifelsfrei zu klären, laut einer Anmerkung von Wilhelm Grimm »nach Erzählungen aus Hessen«. Die Geschichte kursierte aber wohl ebenso schon im Elsaß, in Skandinavien und im Balkan. Aus Hessen, wie die Brüder Grimm selbst, kommt zumindest der »Froschkönig« oder »Froschprinz« (der ursprüngliche Titel »König Froschprinz« wurde erst später in »Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich« umgeändert) und aus Norddeutschland das Märchen »Vom Fischer und seiner Frau« nach einer Aufzeichnung des Malers Philipp Otto Runge, von den Brüdern Grimm aus dem Plattdeutschen übersetzt.

Der Spruch »wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute« trifft nicht nur auf die Märchenheldinnen und – helden zu, sondern ganz besonders auf die Grimm‘schen Märchen an sich. Abgesehen davon, dass schon zahllose Theater- und Filmfassungen gibt, lassen sich immer wieder kreative Köpfe anregen, die alten Geschichten weiter zu erzählen.

Aktuell findet sich im Internet die Ankündigung einer Web-Serie »Die Helden der Gebrüder Grimm«. Die erste Folge handelt vom gar nicht so glücklichen Schneewittchen, das mit dem falschen Prinzen verheiratet werden soll. Man darf gespannt sein, ob sich Schneewittchen schon soweit emanzipiert hat, um sich den Plänen zu widersetzen! Umgekehrt widmet Heinz Rölleke sein Buch »Es war einmal. Die wahren Märchen der Brüder Grimm und wer sie ihnen erzählte« den Original-Überlieferungen und denjenigen, die sie den Brüdern Grimm zugetragen haben. Und für mehr Sex im Märchen ist der Autor, der unter dem Pseudonym Johann Christoph Spielnagel 1982 einen gegen die »sittliche Reinigung der Märchensammlung von Jacob und Wilhelm Grimm« gerichteten erotischen Märchenband, mutmaßlich mit den »erotischen Urfassungen« der berühmtesten Märchen, mit dem anzüglichen Titel »Zauberflöte und Honigtopf« herausgebracht hat.

Auch Wissenschaftler beschäftigen sich weiterhin mit der Wirkung der Märchen. Gerade erst, im 200. Kinder- und Hausmärchen-Jubiläumsjahr, konnte belegt werden, dass Märchen nicht nur für Kinder gut sind, sondern auch für demenzkranke Senioren: Wegen der positiven Assosiationen, weil Märchen das Leben lang im Langzeitgedächtnis verankert bleiben, und der damit verbundenen angenehmen (Kindheits-)Erinnerungen kommt bei den Kranken Stimmung auf.

Jede Menge Erinnerungen an Jakob und Wilhelm Grimm und ihre Märchen findet man in Berlin, nachdem die beiden damals bereits hocherfolgreichen Gelehrten ihre Heimat in Hessen aus politischen Gründen (beide beteiligten sich am Protest der »Göttinger Sieben«, der schief ging und ihnen ihre Professuren kostete) verlassen mussten und 1841 durch Fürsprache des preußischen Königs nach Berlin berufen wurden. Hier haben sie die wichtigste Zeit ihrer Karriere und die restliche Zeit ihres Lebens verbracht, woran das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität erinnert.

Begraben sind Jacob und Wilhelm Grimm und desse Söhnen Rudolf und Hermann auf dem Alten Sankt Matthäus Kirchhof in Schöneberg. In Berlin-Tiergarten, wo Jacob und Wilhelm Grimm gewohnt haben, gibt es die Brüder-Grimm-Gasse und in Lichtenrade und Kreuzberg jeweils eine Grimmstraße und die neue Bibliothek der Humboldt-Uni heißt Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum.

Nach ihren Märchenfiguren sind sogar 44 Straßen und Wege im Stadtgebiet benannt. Im Volkspark Friedrichshain steht der Märchenbrunnen mit Figuren aus neun Grimm‘schen Märchen, ein weiterer Märchenbrunnen in Neukölln, der Gänselieselbrunnen in Wilmersdorf und der Froschkönigbrunnen in Pankow. Auch Kreuzberg hat seinen Froschkönig oder vielmehr Froschprinzen: Der sitzt im U-Bahnhof Prinzenstraße am Bahnsteig Richtung Uhlandstraße auf einer der Dachstreben.

Geschrieben von Jutta Wunderlich




Donauklänge kommen aus dem Fenster von Wrangelfilm – Träumen erlaubt.

»Who is satisfied? Who wouldn’t sell his mind? Who is satisfied? Who wouldn’t sell his mind? Who can really say?« (aus dem Lied »It’s a bit of a pain« von der Krautrockband Faust). Ben ist zwar zufrieden, aber seine Seele verkaufte er für seinen Lebensunterhalt nicht nur einmal. Zuletzt auf einer Messe, als Schaf. Und wofür das alles? Für die Erfüllung eines Kindheitstraumes. So kitschig, wie das klingt, war die Wirklichkeit des Traumes dann nicht. Ben Mergelsberg, einer dieser vielen Filmemacher Berlins, ist in der Nähe der Donauquelle geboren und träumte in jungen Jahren nicht wie andere Jungs ein Fußballstar zu werden, sondern das Ende der Donau zu sehen. Die Waldorferziehung hat sich ausgezahlt. Zusammen mit Musikern und anderen Künstlern ging es also mit voll gepackten Autos zunächst nach Süddeutschland, um von dort sich auf den Weg zum Schwarzen Meer zu machen. Im Donautal trafen sie auf Jochen Irmler von Faust in seinem gleichnamigen Studio. Der hatte zwar »kein Bock sein Keyboard aufzubauen«, aber dafür konnten die Reisenden in seinem Studio jammen. Basti am Kontrabass, Raphi am Schlagzeug, Maschume Percussion während Lotti eine kleine Feuershow zeigte. Die Rolle von Ben, dem nicht mehr ganz kleinen Jungen: An der Kamera mit Hilfe von Sam, einem Neuseeländer stehen. Später fanden sie sich in Radiosendern in Ungarn, betrunken auf einer Hochzeit und serbischen Dörfern wieder. Die Gegensätze waren es, die Basti in Serbien beeindruckt haben: »Auf der einen Seite vom Krieg zerfallene Häuser und dann die fruchtbare Natur. Dies sorgte für eine spezielle Atmosphäre zwischen abgefuckt und wunderschön.« Am Ziel, dem Schwarzen Meer, angekommen waren alle müde und genervt von den Lkw´s, die voll beladen mit Scheiße an ihnen vorbei fuhren. Letztendlich war nur der Neuseeländer im Wasser, die anderen standen mit Bier an den Autos und starrten irritiert auf einen Strand voll mit unzähligen nackten Leuten in einer Kulisse von industriellen Schornsteinen. Der ganze Weg wurde mit einer Kamera begleitet. Auch andere Musiker hatten Lust zu spielen und so ist Bens Computer in der Wrangelstraße nun voll mit schönen Klängen und Bildern, die im Februar als Film erscheinen sollen. Okay, ich muss mir jetzt keine gekonnte Überleitung überlegen, was an dieser Stelle üblicherweise kommt ist bekannt: »Wir wollen Deine Kohle!«. Das ihr wahrscheinlich auch nicht den Bausparvertrag mit 18 abgeschlossen habt und nun zu viel Geld habt, ist uns klar. Es geht auch beim Crowdfunding Prinzip (nicht zu verwechseln mit Krautrock) nicht ausschließlich darum Geld zu bekommen, sondern auch den Film bekannt zu machen und Wrangelfilm der Nachbarschaft vorzustellen. »Hallo das sind wir, ein Kollektiv von Filmemachern.«

Und Ben, warum sollte man euch unterstützen? »Eine dumme Frage!«. Er ist eben nicht immer anspruchslos, wie bei dem Schafjob, sondern liebt auch gehaltvolles, wie beispielsweise Dj Marcelle, über die er einen Film drehte. Ein anderer Film von Ben heißt: »Junge, komm bald wieder!« und ist eine Dokumentation über den Obdachlosen Peter aus Zehlendorf, den Graffiti aufregen und der sehr heimatverbunden ist.

Mit den Spenden (auf www.indiegogo.com/danubesounds zu überweisen) soll außerdem eine Website kreiert werden, wo man visuell an der Donau entlang scrollen kann und sich auf dieser Reise, Musik und Filmausschnitte ansehen und anhören kann.

Wie üblich für diese Art des Spendensammelns, bekommt man schon bei kleinen Beträgen Geschenke und zusätzlich unterstützt man den Kiez.

Für das Träumen! Für Gemeinschaft und Begegnung in Berlin und der Welt. Auch sonst völlig naiv und idealisierend.

Gastbericht von Clara




Rosa Filmtage – Filmtage-Nachlese aus Berliner Sicht: Jubel bei der filmArche

BERLIN/HOF – So sehr wie lange nicht, waren diesmal die Internationalen Hofer Filmtage – wichtiger Branchentreff in Sachen neuer deutscher Film, Kontaktbörse, Talentschmiede und erklärtes Lieblingsfestival von vielen Fachbesuchern und Normalos – von Berliner Filmemachern geprägt.

Besonders erfreulich aus Kreuzberger Sicht ist die Erfolgsstory von „Silent Youth“: ein erstklassiger Studenten-Abschlussfilm von Diemo Kemmesies, Absolvent der filmArche e.V., einer noch relativ jungen, selbstorganisierten und als Verein geführten privaten Filmschule in der Schlesischen Straße, die sich langsam aber sicher in der Berliner Filmszene etabliert und deshalb auch immer mehr Kooperationspartner und Unterstützer findet. „Silent Youth“ ist der zweite Spielfilm von Kemmesies. Trotz sehr schmalem Budget prominent besetzt mit Josef Mattes, dem charismatischen Sohn von Film-/Fernseh-/Theater-Ikone Eva Mattes, und dem nicht weniger charismatischen Martin Bruchmann (Newcomer aus Leipzig, Absolvent der Schauspielschule Felix Mendelsohn Bartholdy in Leipzig und heuer im Hauptcast der ARDBestsellerverfilmung „Der Turm“) in den Hauptrollen.

Insgesamt kommt der Film mit nur vier Schauspielern aus und lebt von intensiv und feinfühlig inszenierten kammerspielartigen Szenen. Alles dreht sich um das zufällige Kennenlernen und die langsame Annäherung zweier junger Männer in Berlin. „Es ist eine klassische Coming-Out- Geschichte, die sich aber für die Momente interessiert, die man schnell wieder vergessen will: Das erste Ansprechen, das Knarzen des Stuhls auf dem man voreinander sitzt und nicht weiß, was man sagen soll. Und das Schweigen. Silent Youth ist ein Film über das In-sich-eingesperrt-sein, aber vor allem ist es ein Film über die Liebe“, beschreibt das Kemmesies auf der Website zum Film http://www.milieufilm.com/index/DE/filme/silent_youth.html

In Hof lief der Film nicht nur auf dem Festival, sondern war sogar als einer von acht Langfilmen für “Millbrook Autorenpreis” nominiert. Den Preis bekam allerdings nicht Kemmensis, sondern ein österreichisches Regie-Team für den Senioren-Liebesfilm „Anfang 80“. Dafür geht „Silent-Youth“ auf Festival-Welttournee: Nach der Uraufführung in Valencia, einem Startplatz in Kiew und in Hof läuft der Film auf dem Q! Festival Jakarta/Indonesien, dem Pink Screens Festival Brüssel/Belgien und dem Torino Film-Festival in Italien und ist damit die bislang erfolgreichste filmArche-Produktion. Und inzwischen gibt es auch schon konkrete Perspektiven für die Auswertung im Kino!

Den Kinostart-Termin am 29. November in der Tasche hatte schon vor der Hof-Premiere das Drama „Am Himmel der Tag“, Spielfilmdebüt und gleichzeitig Abschlussfilm von Pola Schirin Beck (1982 in Berlin geboren, Regiestudium an derHFF „Konrad Wolf“ Potsdam Babelsberg, ein Kurzfilm von ihr lief bereits 2008 auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino) und einer der gefragtesten Filme des Festivals. Als erstes Filmprojekt, das der RBB mit seiner neuen Initiative für Kinofilme unterstützt, und mit der neuen Jung-Tatortkommissarin Aylin Tezel in der Hauptrolle (mit grade mal 28 Jahren ist sie seit diesem Jahr als jüngste Tatort-Ermittlerin in Dortmund im Einsatz) stand der Film bei den Festival-Besuchern und der Jury ganz hoch im Kurs: Juan Sarmiento und David J. Rauschning (beide ebenfalls HFF Potsdam) wurden für Kamera bzw. Schnitt von „Am Himmel der Tag“ mit dem wichtigen „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ und dem dazu gehörigen Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet.

Ein Hingucker bei den Kurzfilmen war „You missed Sonja“ von Félix Koch, nach der Kurzgeschichte „Rest Stop“ von Stephen King in Potsdam-Babelsberg gedreht. Während der 21 Minuten Laufzeit steigert sich die Handlung vom alltäglichen Beziehungszoff zum absoluten Alptraum und endet noch bösartiger als das Original.

Mehrmals täglich Rosa

Special Guest der 46. Internationalen Hofer Filmtage war Rosa von Praunheim, Stamm- und Dauergast in Hof und dem Festival seit eh und je verbunden, wichtiger Vertreter des postmodernen Films, bis 2006 Professor für Filmregie an der HFF Potsdam-Babelsberg, „Schwulenpabst“ und Wegbereiter der Schwulen- und Lesbenbewegung in Deutschland. Für sein Lebenswerk und im Vorfeld seines 70. Geburtstags wurde er geehrt und gefeiert. Diesen Umstand nahm wiederum der umtriebige Jubilar zum Anlass, sage und schreibe 70 (in Worten: siebzig!) neu gedrehte Filme mitzubringen, die alle exklusiv in Hof das erste Mal gezeigt werden sollten, gerade noch rechtzeitig vor der Free-TV- und Kino-Premiere zum runden Geburtstag Ende November. Wurden sie auch, wenn auch gekürzt, verteilt auf sämtliche Festivaltage und sämtliche Tageszeiten. Dazu kam dann noch in der Sektion Dokumentarfilme die Hommage der „Rosakinder“ Julia von Heinz, Chris Kraus, Axel Ranisch, Robert Thalheim und Tom Tykwer für ihren Lehrer, Freund und Mentor.

Interessant und sehenswert war das eigentlich alles. Allerdings war das XXL-Special in Hof mit der unangenehmen Nebenwirkung verbunden, dass die Startplätze für die anderen Bewerber etwas weniger wurden. Und so hatten zumindest ein paar Filmemacher deswegen das Nachsehen. Prozentual gesehen relativiert sich das zwar, nachdem von rund 3.000 Einreichungen bzw. in Frage kommenden Filmen ohnehin nur eine Auswahl von 181 Filmen gezeigt werden konnte, eigenhändig und gewissenhaft ausgewählt und alles selber angeschaut von Festivalleiter Heinz Badewitz. Trotzdem bleibt im Nachhinein ein etwas schaler rosa Nachgeschmack.

Wem Rosa gefällt, der kann die ganzen 70 Filme jetzt auch auf DVD erwerben oder in seinem neuesten Buch „Ein Penis stirbt immer zuletzt“ (mit 70 Gedichte, 70 Zeichnungen, 7 Kurzgeschichten – und zufällig ausgerechnet grade nur noch 7 Exemplare verfügbar …) schmökern. Und im Haus am Lützowplatz wird bis zum 17. Februar, also bis zum Beginn der Berliner Festspiele, die Ausstellung „Rosen haben Dornen“ gezeigt, mit Filmausschnitten, Fotografien, Zeichnungen und Installationen.

Geschrieben von Jutta Wunderlich

 




Tresentest: Kater Holzig

Sag nie, das du von zu Hause kommst, oder besser du gehst gar nicht erst hin!!!!

Am Sonntag stand ein neuer Tresentest an, diesmal im Kater Holzig. Um nicht allein dazustehen, verabredete ich mich mit zwei Freundinnen dort. Es war ein ruhiger Nachmittag, und so gegen 17 Uhr traf ich bei Sonnenschein und guter Laune vor der Kasse der Location ein. Es war wirklich nicht viel los und ich stand mit ca. 16 Personen vor dem Eingang. Der Türsteher sprach mit jedem Gast, was ich nicht genau mitbekam, und schickte dann über die Hälfte der Schlange wieder weg. Erst ein junges Pärchen, dann eine einzelne Frau, zwischendurch durfte mal ein Pärchen rein (was sich optisch nicht von dem anderen unterschied), wieder ein einzelner Mann nicht usw.

Ein wenig irritiert schaute ich der Türpolitik zu, ohne eine System zu erkennen. Schließlich kam ich an die Reihe: „Wieviele seid ihr ?“ wurde ich gefragt. Äh, ich drehte mich um, schaute, ob sich jemand hinter mir versteckt hatte, und dachte nur: Was sieht dieser Junge was ich nicht sehe?, denn ich stand alleine vor ihm. Ohne seinen Geisteszustand in Frage zu stellen, blieb ich ruhig und antwortete höflich, dass ich es wäre, um den es geht. Zweite Frage: „Wo kommst du her ?“ – langsam stieg eine gewisse Aggression in mir auf, was dieser abgebrochene Zwerg von mir wollte, eigentlich wollte ich ihm entgegnen, dass es ihn einen Scheißdreck angeht, wo ich herkomme, diese Frage beantworte ich nicht mal den Bullen und schon gar nicht einem dahergelaufenen Vollpfosten.

„Von zu Hause“ sagte ich ihm mit leicht gerümpfter Nase, obwohl sich meine Stimmung eher auf Schmerz zufügen einstimmte. Dann glotzte er mich von unten bis oben an (wie bei einer Musterung), dann von oben nach unten und sagte: „Ich kann dich leider nicht reinlassen!“. „Ach“, kam es aus mir heraus, „drinnen warten Freunde auf mich!“. „Sorry, kommst nicht rein!“ Ich schüttelte den Kopf und ging, schaute mir noch ein wenig die Türpolitik an und konnte beim besten Willen nicht erkennen, warum die einen rein durften, andere jedoch nicht. Selbst meine Bekannte wurde zur Bittstellerin, weil sie kurz den Laden verlassen wollte, um zum Auto zu gehen. Erst nach längerer Diskussion mit dem Türpersonal wurde es ihr erlaubt. Was soll das? Wo sind wir denn hier? Man sollte wissen, es war Nachmittag und der Laden war leer!

Fazit:

Somit fiel der Tresentest aus, na eigentlich nicht ganz, denn es gibt ein klares Urteil.

Wir Berliner gehen da nicht mehr hin, Punkt !!!!

Ich selbst war DJ und habe Technopartys organisiert und trieb mich mehrere Jahre aktiv in der Clubszene in Berlin rum. Mir ist daher auch klar, dass es eine Türpolitik geben muss, um eine gute Balance im Club zu gewährleisten, es geht mir auch nicht darum, mal abgewiesen zu werden. Das „Wie“ ist aber eine andere Sache. Dass sich dort ein paar Egomanen aufspielen und den Dicken raushängen lassen, kotzt mich an. Das sind genau diese kleinen Lichter, denen man Vertrauen gibt und Machtmissbrauch erntet. Zwar hatten mich meine Freunde schon gewarnt, dass dies nur noch ein Laden für Kokser ‘und Touristen ist, aber man lernt halt nie aus. Ich war wohl zu nüchtern, denn wer von zu hause kommt ist meistens nüchtern !

Es gibt so viele gute Clubs und Raves in Berlin, wo man freundlich begrüßt wird, wenn man feiern und Geld ausgeben will. Kater Holzig gehört definitiv nicht dazu, die Bar 25 war schon arrogant, aber sie wollen wohl immer noch höher hinaus und glauben fest daran, nicht Mainstream zu sein, wie süß ! Zuviel Drogen machen halt doch Scheiße im Kopf !

Gute Subkultur sieht definitiv anders aus.

Für mich ist klar, dass war das letzte marl !!! hehe, so reimt es sich wenigstens !




Kunst… selbstverständlich

Die, vom Stadtteilausschuss Kreuzberg e.V. organisierte, 9. Open Air Gallery an den Sonntagen, 3. Juli und 7. August 2011, auf der Oberbaumbrücke wird über 100 internationalen und nationalen Künstlern die Möglichkeit geben, ihre Werke zu zeigen und zu verkaufen. Die Standgebühr ist inzwischen auf €80 gestiegen.

Die Veranstaltung ist als Ganze bei über 38,000 Besuchern (im vorigen Jahr) eine gewinnbringende Angelegenheit für die Gastronomen vor Ort und ringsherum, für die Sponsoren, die Lokalpolitiker und viele andere Geschäftstüchtige. Die Einzigen, die viel riskieren und oft leer ausgehen, sind die Hauptattraktion und raison d‘etre der ganzen Veranstaltung, die Künstler.

Ein Fragebogen befragte nach der Veranstaltung im vorigen Jahr die teilnehmenden Künstler zu deren Zufriedenheit, dem Ort, einem angedachten hochwertigen Katalog, der Öffentlichkeitswerbung und sonstigen vordefinierten Verbesserungsvorschlägen. Eine Erhebung von (anonymen) wirtschaftlichen Daten, wie die Umsätze der Künstler abzüglich der Auslagen und Standgebühren, wird außen vor gelassen.

Vor einigen Jahren hatte ich mir –als dies noch erlaubt war- einen Stand mit einem befreundeten Maler geteilt. Trotz großem Interesse seitens der Besucher und der Presse – ein Kunstwerk von meinem Kollegen wurde sogar für Zeitungsleitartikel verwendet – hatten wir beide weder ein Kunstwerk verkauft noch wirtschaftlich relevante Kontakte geknüpft.

In den Jahren danach habe ich frei, wie es bei mir üblich ist, vor Ort ein Ölbild gemalt, in der Nähe des Kunstmarktes. Dabei hatte ich die Gelegenheit, zumindest auf der Kreuzberger Seite, die strömenden Besucher zu beobachten und mich mit vielen zu unterhalten. Während der ca. 6 Stunden, die ich da stehe, habe ich äußerst selten gesehen, dass gekaufte Kunstwerke unter dem Arm mitgetragen werden. Von den mir erzählten Kaufpreisen war ich immer erstaunt, was für Schnäppchen manche Besucher erzielt hatten. Die Künstler taten mir leid.

Dass die Künstler vermutlich froh sein sollen, dass ihnen überhaupt eine Plattform angeboten wird, wird für selbstverständlich seitens der Veranstalter angenommen. Diese Haltung offenbart wenig Vertrauen in die Künstler und deren Arbeiten, auch – und noch wichtiger – von den Künstlern selbst. Vergleichbar ist die Einstellung der Veranstalter auch mit der von vielen Café- und Restaurantbesitzern, die deren Räumlichkeiten innen gratis mit Kunstwerken und deren Fassaden mit schlecht bezahlten Wandmalereien „dekorieren“ lassen. Viele Künstler schätzen sich selbst dermaßen schlecht ein, dass sie auf eigene Kosten solche Räume mit ihren Arbeiten bestücken, statt diese zu verkaufen oder zu vermieten. Im Gegensatz zu Galeristen, haben Restaurantbetreiber keinerlei Anreiz Kunstwerke an Dritte zu verkaufen. Ob ein Restaurantbesitzer froh sein soll, dass ein Künstler für die Öffentlichkeit bei ihm tagtäglich – gratis – esse, damit andere sehen, wie voll das Restaurant ist? Absurd, oder?

Als Alternative schlage ich vor, dass Café- und Restaurantbetreiber die Originalkunstwerke mieten oder preiswerte Drucke kaufen und ihre Räumlichkeiten damit verschönern. Wenn solche Angebote nicht angenommen werden, kann der Künstler sicher sein, dass die Kunstwerke nicht ernst genommen, bzw. als nicht wert verstanden werden. Die Künstler würden diese Haltung zum eigenen Nachteil nur bestätigen, wenn keine Bezahlung gemacht wird. Sie sollten nicht vergessen, dass sie in einem harten marktwirtschaftlichen Raum agieren.

Man braucht mit keinem Mitleid haben, wenn der Luxusgegenstand Originalkunst einem Restaurantbetreiber „zu teuer“ ist, da er schließlich großformatige Fotos von der Oberbaumbrücke bei IKEA für billig kaufen kann. Diese habe ich in zwei Restaurants im Wrangelkiez schon gesehen.

Zum Schluss eine Berichtigung des Eingangstextes:

Über 100 internationale und nationale, vom Stadtteilausschuss Kreuzberg e.V. gebührend honorierte Künstler präsentieren der Öffentlichkeit ihre Kunstwerke an den Sonntagen, 3. Juli und 7. August, auf der 9. Open Air Gallery auf der Oberbaumbrücke und geben damit dem Bezirk und Berlin die Möglichkeit ihr kulturfreundliches Gesicht zu zeigen.

William Wires, Mai 2011




Kulturraum Zwinglikirche wieder geöffnet – Raum für Kunst, Kultur und Geschichte

Nur für ein paar Monate im Jahr, aber während dieser Zeit regelmäßig, wird die Zwingli-Kirche im Quartier Rudolfplatz, Nähe U- und S-Bahnhof Warschauer Straße, als KulturRaum genutzt. Das auffällige Bauwerk, das längst nicht so alt ist, wie es aussieht (Grundsteinlegung 1906, Einweihung 1908) und offiziell zu den Berliner Baudenkmälern gehört, ist nämlich nicht beheizbar und deswegen bis in den Mai hinein zumindest für Veranstaltungen, bei denen man still sitzt und zuhört bzw. zusieht einfach zu kühl.

Nach dem Mauerbau 1961 wurde das Gebäude jahrelang weder kirchlich, noch anderweitig genutzt, später als Archiv an die Staatbibliothek verpachtet. Dass die Zwingli-Kirche jetzt wieder eine gesellschaftliche Funktion hat als gern genutzte Begegnungsstätte für den Kiez, ist dem Verein KulturRaum Zwingli-Kirche e.V. zu verdanken, der 2007 von Bürgerinnen und Bürgern des Stadtteils gegründet wurde.

Seitdem gibt es hier jährliche Sommerprojekte mit Bezug zur lokalen Geschichte und künstlerischem Anspruch, eine Lichtspielreihe „Kino im Quartier, ausgefallene Konzerte und Lesungen mit Prominten aus Theater, Film und Fernsehen und überhaupt viel Interesse und Raum für Kunst, Kultur und Geschichte.

Ganz aktuell steht ein Konzert des Yale Glee Clubs im Rahmen von dessen Jubiläums- Europa-Tour über Uppsala, Stockholm, Kopenhagen, Berli, Prag, München, Paris und Istanbul mit „Classical, Contemporary and American Spirituals“ am 5. Juni, 18 Uhr, auf dem Programm. Weitab vom Mainstreems bewegt sich auch die Auswahl für die Reihe „Kino im Quartier“. Zuletzt wurde Ende Mai der DEFA-Film „Der Verdacht“ von Frank Beyer nach einem Text von Volker Braun und einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf gezeigt. Und weil der Verein die Kirchenräume auch als Location für Film- und Video-Produktionen vermietet, hat die Zwingli-Kirche seit 2007 ihrerseits „Filmkarriere“ gemacht: Am 10. Februar 2011 war hier ein wichtiger Drehtag des Kinofilms „Im Jahr des Hundes“ von Dennis Gansel. Dafür wurde der Kirchenraum allerdings gründlich umgestaltet und dort eine „russischeBar“ eingerichtet.

Weitere Infos unter www.zwingli-kirche.de

Geschrieben von Jutta Wunderlich




Richtigstellung zu „Das muss auch anders gehen“ und „Kurz Gesagtes – Die neue Immobiliensteuer kommt“ (Ausgabe 9)

I. In der Oktoberausgabe von Der Kreuzberger ( Nr.9 ) ist mir ein Fehler unterlaufen! Im Artikel „Das muss auch anders gehen“ steht dort, das Deutschland „die drittgrößte Rüstungsmacht beherbergt“! Das ist falsch, es muss heißen „den drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt beherbergt“. Wenn man das Jahr 2008 zugrunde legt ist Deutschland auf Platz 6 mit 46.8 Milliarden Dollar Militärausgaben. Unangefochten auf Platz 1 natürlich die USA mit 607 Milliarden. Sie gibt mehr Geld für Rüstung aus, als alle 9 Folgenden Länder zusammen. Schon Komisch nicht wahr !

Bookfield

Quelle: Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri In dem Bericht hieß es :“Deutschland……“. Richtig hätte es lauten müssen: „ Deutschland….“

 

II. In Der Kreuzberger Ausgabe 09 10 berichteten wir unter „Kurz Gesagtes – Die neue Immobiliensteuer kommt“ über das Wohnverhalten der Weinbergschnecke folgendes:“…da diese ihr Quartier im Herbst räumt und das wohnen in freier Natur vorzieht…“. Sachlich und fachlich korrekt hätte es selbstverständlich heißen müssen:“ Zur Winterstarre wird die Schneckenhausöffnung bis zum Erwachen im Frühjahr verschlossen. Dieser Schalendeckel zum Beispiel bei der Weinbergschnecke, das sogenannte Epiphragma, wird im Frühling wieder abgeworfen.“ (Quelle:Wikipedia)

Olly




Die Duisburger Deathparade

Ein paar Monate ist es erst her, als sich während der Loveparade in ‚Duisburg eine Katastrophe ereignete, bei der 21 Menschen gestorben sind und über 500 verletzt wurden. Dies könnte ein tragischer Abschluss einer Idee werden, die mit Musik und Ekstase mehr als ein ganzes Jahrzehnt geprägt hat. Am Anfang noch mit einem Demostatus ausgestattet, luden die Veranstalter Matthias Roeingh (Dj Motto) und Danielle de Picciotto die Raver 1989 in das Herz des alten West Berlins ein und es kamen gerade mal 150 Leute. Das dieses einmal der Startschluss für eine der größten Musikveranstaltungen der Welt werden sollte, die in ihrer Hoch Zeit bis zu 1.5 Millionen Raver anlocken würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen. Es gab wohl weltweit keine andere Partyveranstaltung, die in so kurzer Zeit, von einem kleinen Umzug zu dieser Dimension angewachsen ist und den Zeitgeist der Jugend nach dem Umbruch Deutschlands so gut traf wie diese. Hier feierte eine neue Generation , die sich nicht länger auf Clubs beschränken wollte, sondern skurrile Orte aufsuchte und sich als Teil einer neuen Feierkultur begriff, die andere Musik und andere Drogen benutzte, sich aber in dem Ziel des friedlichen Zusammensein einte, ohne daraus eine neue Doktrie zu formulieren.

Auch besaß sie eine derart große Strahlkraft, dass sie weltweit Beachtung fand und es in vielen Ländern Nachahmer gab eigene Paraden durchzuführen.

Die Technogemeinde hatte eine neue Plattform zur Selbstdarstellung gefunden. Bunte Wagen mit ClubDJs und Tanzwütigen, trugen dieses neue Gefühl auf die Straße mit viel Dezibel und grellen Farben, aber vor allem mit viel Spaß. Der Ansturm war so groß, dass selbst der Kuhdamm die Massen nicht mehr aufnehmen konnte. Gepresst bin in die Seitenstraßen zwängten sich die Menschen und es war klar, dass das Platzangebot eine weitere Erhöhung nicht mehr standhalten konnte. Daher wechselte die Parade 1996 in den Tiergarten. Die Achse zwischen Ernst Reuter Platz bis Brandenburger Tor wurde nun das neue Eldorado und trug Bilder in die Welt, die für das vereinte Berlin nicht besser hätten sein können. Dennoch gab es nicht nur Zuspruch, das Müll und Sicherheitsproblem wollte die Stadt nicht alleine tragen. Die Finanzierung war somit noch mehr marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen und die Teilnahme eines Partytrucks konnte meist nur noch mit großen Sponsoren durchgeführt werden. Dies führte schließlich zu einer Spaltung der Veranstalter der Loveparade, so dass 1997 die erste Gegenparade, die „Hateparade“ die ein Jahr später in „Fuckparade“ umge-tauft wurde, stattfand. Obwohl der Demostatus erst 2001 durch das Bundesverfassungsgericht verloren ging.

Durch die ganzen Streitereien setzte die Parade für zwei Jahre aus (2004/2005). Der Einstieg von Lopavent Gmbh 2006 von Rainer Schaller als Veranstalter ließ die Parade zwar wieder aufleben, sie veränderte jedoch nochmals ihren Charakter. Hin zu noch mehr Kommerz und selbst bei der Musik machte sich nun der Mainstream breit. In Berlin schrumpfte das Interesse, neue Partnerstädte wurden gesucht, bis man schließlich fündig wurde und die Parade für 5 Jahre in den Ruhrpott zog.

 

Doch wie konnte es passieren, dass aus einer ausgelassenen Party ein Desaster wurde?

Ich hab das Gefühl, sobald der Kommerz im Vordergrund steht, scheint effektives Handeln im Sinne des Gewinns, einige menschliche Regeln aufzuweichen. Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, je mehr Distanz zwischen den Veranstaltern und Besuchern besteht, desto sorgloser wird der Umgang mit ihnen. Das Unfälle passieren muss man wohl hinnehmen, eine sichere Welt gibt es nicht. Aber man sollte unterscheiden können, was ein Unfall ist und was nichtbei der Loveparade in Duisburg war es meiner Meinung nach kein Unfall, sondern ein kühl eingerechnetes Restrisiko, was billigend in Kauf genommen wurde, mit der Hoffnung es würde schon alles gut gehen.

 

Wer war daran beteiligt?

Da ist die Stadt Duisburg personifiziert durch OB Sauerland, die raus aus dem „graue Maus Image“ einmal etwas großes auf die Beine stellen wollte. Im Zuge der Ruhr 2010 und deren Feiern zum europäischen Kulturhauptstadtjahres, wurde sie schnell zu einer der wichtigsten und größten Veranstaltungen deklariert. Bilder von jungen Menschen sollten um die Welt gehen und Duisburg in einem Atemzug mit dieser Massenveranstaltung genannt werden.

Dann der Veranstalter Schaller, der mit dem Erwerb der Marke Love Parade, einen nicht besseren Werbeträger für seine McFit Kette bekommen konnte, bei der sich gestählte Körper in ekstatischer Ausgelassenheit räkeln. Das Problem ist nur, er ist kein Veranstalter von solchen Events, hat also zu wenig Erfahrung vorzuweisen. Das der Eingang des Sicherheitskonzeptes erst am 18 Juli stattgefunden hat, also 6 Tage vor der Veranstaltung, unterstreicht diese Vermutung.

Das es überhaupt möglich war, aus einerStraßenparade eine eingezäunte Veranstaltung zu machen, ist schon ein Hohn. Vielleicht schon der erste Vorgriff auf das, was perspektivisch mit dieser Parade beabsichtigt werden sollte, eine Veranstaltung mit Eintritt?!

Der dritte im Bunde die Polizei, die zwar im Vorfeld auf mögliche Gefahren hingewiesen hatte, doch anscheinend dem Druck von verschiedenen Seiten nicht standhalten konnte. Sie sind die Sicherheitsexperten und somit die einzigen die diesen Irrsinn hätten stoppen können.

Was ist passiert? Wer schon einmal eine Loveparade besucht hat, wird wissen das eine so große Veranstaltung nicht eingezäunt werden kann und schon gar nicht über einen 300m langen Tunnel zwei entgegengesetzte Menschenströme zu leiten sind. Den Tunnel sowohl als Eingang, als auch als Ausgang zu nutzen ist grob fahrlässig und zeugt von größter Naivität. Ein Gelände bereit zu stellen, dass eine Aufnahmekapazität von ca. 250.000 Menschen hat, obwohl wir alle die Zahlen kennen die üblich sind für diese Veranstaltung (ca. 500.000 – 1.500.000), macht einen dann nicht nur wütend, sondern legt meinen Verdacht nahe, dass hier vorsätzlich Risiken der Besucher in Kauf genommen wurden.

Um die Massen zu kanalisieren, gingen die Besucher in zwei großen Schleifen durch die Stadt bis sie in die beiden gegenüberliegenden Tunneleingänge hinein kamen und sich bei der einzigen Aufgangsrampe zum Festgelände wiedertrafen. Auf ihrem Weg durch die Stadt, mussten die Raver ein paar Schleusen durchlaufen und liefen sehr oft in eingezäunten Straßen zum Festgelände, so sollte wahrscheinlich ein geregelter Besucherstrom zum Tunnel eintreten. Am Tunnel selbst, unterstützten erst später Polizeiketten hinter den Schleusen die Regulierung der Besucherströme. Bis die Polizeiketten dem Druck nicht mehr standhielten, überrannt oder geöffnet wurden. Die letzte Kontrolle über die Masse war somit verloren. Wer nun genau welche Entscheidung zu welchem Zeitpunkt gefällt hat, ob nun Polizei oder Ordner (die scheinbar überhaupt nicht dafür ausgebildet waren und die installierte Kommunikationstruktur auch nicht funktionierte) oder Fehlverhalten einiger Besucher, es spielt keine Rolle, denn Fakt ist, so eine Masse an Menschen kann nie und nimmer durch so einen Tunnel gezwängt werden, noch nicht einmal in eine Richtung. Man kann wahrscheinlich sehr sehr froh sein, dass das Festgelände noch nicht komplett überfüllt gewesen ist, allein das die Floats (Partytrucks) an der Eingangsrampevorbeifuhren und somit beim passieren, für die Ein und Ab strömenden Menschen wie ein Propfen wirkten, führten wahrscheinlich mit dazu, dass die Katastrophe zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt eingetreten ist. Zum Glück!!! so bitter es auch sein mag!!!

Dies sind nicht nur Organisationsfehler sondern ein Ausdruck von absoluter Materien ferne. Hier waren Menschen am Werk die nicht wissen, was auf solchen Veranstaltungen wirklich passiert. Die Bilder anschauen oder sich selbst in das Getümmel stürzen, sind halt doch zwei verschiedene Sachen (nicht umsonst gab es diverse Nachrichten in den Internetforen die auf das Risiko Tunnel eingingen). Nachdem Bochum aus Sicherheitsaspekten die Parade abgesagt hatte, wäre man gut beraten gewesen, verstärkter auf deren Erklärungen zu schauen. Die Besucherströme zu kanalisieren und mit Intervallsperrungen zum bzw. vom Veranstaltungsort durch dieses Nadelöhr Tunnel zu leiten, hätte selbst bei unerfahrenen Organisatoren Bauchschmerzen auslösen und zur einer genaueren Überprüfung animieren müssen. Hier gab es noch nicht einmal einen konkreten Vorfall der die Menschen in irgendeine Paniksituation gebracht hätte, allein das friedliche Aufeinander treffen solcher Massen verursachte diese Katastrophe.

Wenn man die Berichte ließt, scheint eines ganz deutlich zu werden. Vorrangig ging es hier um Prestige und Geld. Bedenken wurden vom Tisch gewischt ohne sie wirklich zu überprüfen. Druck wurde von der Stadt/Land denen gegenüber aufgebaut, die diese Ziele nicht im vollen Umfang unterstützen wollten. Bei der Stadt und dem Veranstalter ist das Fehlverhalten ziemlich eindeutig. Wenn sich der Ob Sauerland im Nachhinein hinstellt und sagt, er habe nichts von etwaigen Bedenken gehört, so sollte dieses ausreichen, seinen Hut zu nehmen. Denn wer sich eine der größten Partyveranstaltungen der Welt in die Stadt holen will, sollte über die Risiken informiert sein, Punkt.

Diese „Augen zu und durch Mentalität“, die wir immer häufiger in politischer und wirtschaftlicher Praxis beobachten müssen, ist scheinbar salonfähiger geworden . Ein Tanklaster in Afghanistan zu bombardieren wird hier schnell vergessen. Hoch radioaktiven Müll einfach in ein Salzstock zu schmeißen, scheint anscheinend auch kein Problem. Grobe Fehlplanung bei einer Massenveranstaltung?

Warum wurden die Veranstalter nicht zurück gepfiffen? Wieso weigerte sich zum Beispiel Polizei und Feuerwehr nicht, diese Veranstaltung durchzuführen, gerade wenn Sicherheitsbedenken aus ihren Reihen im Vorfeld formuliert wurden?

Wenn das Erkennen das ein Risiko sohoch ist, das womöglich Menschen dabei zu Schaden kommen könnten, darf man doch nicht aus einer Befehlsstruktur heraus Menschenleben Risiken aufbürden und die eigene Vermutung des Chaos beiseite schieben. Hier liegt genauso ein Versagen vor, wie beim Veranstalter und der Stadt. Wenn ich die Sicherheit einer Veranstaltung nicht übernehmen kann, so sage ich sie ab, so einfach ist das! Wo sind die Menschen die zu ihren Einschätzungen stehen und gegeben falls auch die Konsequenzen auf sich nehmen. Hier haben Menschen Verantwortung für andere übernommen, dass heißt auch, sie sollten sich ihrer Sache in soweit sicher sein, dass bestmögliche getan zu haben. Wenn die Polizei Bedenken hatte, dann muss sie auch standhaft sein solch eine Meinung durchzustehen (dafür braucht man halt Eier in der Hose). Doch falls dies wirklich nicht ging und die Legislative soviel Druck ausüben konnte/kann auf die Exekutive, so muss man sich schon die Frage stellen, wie es um unsere Demokratie bestellt ist. Deswegen kann man der Entscheidung in Bochum nur Anerkennung schenken.

Nun zu den Teilnehmer! In einem Interview sagte eine Frau die mit ihren Kindern zur Parade gegangen war, sie hätte mit solch einer Szenerie nie gerechnet und war immer davon ausgegangen, dass für die Sicherheit gesorgt sei.

Eine derart große Menschenmasse birgt immer ein Risiko in sich. Wer schon einmal Spielball von ihr geworden ist, kennt ihre ungeheure Kraft. Der Einzelne besitzt keinerlei Einflussnahme mehr, gerät sie außer Kontrolle, hilft nur noch Beten. Die Bilder aus der Stadt zeigten schon welche Dichte auf den Zugangsstraßen herrschte. Dort sollten schon die ersten Alarmglocken läuten und die Aufmerksamkeit, bei aller Partystimmung, auf erhöhten Modus schalten. Viel zu oft kommt es vor, dass teilweise ganze Partygruppen Kettenreaktionen auslösen nur weil sie irgendwo durch wollen und nicht die Situationen realisieren in der sie sich eigentlich befinden. Viele haben das Gefühl verloren Situationen richtig einzuschätzen. Zu naiv, zu breit, oder einfach nur auf ihrem Egotrip. Dennoch trägt jeder die Verantwortung für sich selbst, sie kann nicht abgenommen werden. Man kann nicht davon ausgehen, dass alles gut gehen wird. Ein wachsamer Blick auf seine Umgebung, kann immer Helfen schon im Vorfeld undurchsichtige Situationen zu entschärfen. Das soll nicht die Verantwortung der Organisatoren schmälern, jedoch sollten wir es uns auch nicht zu einfach machen und jedes mal dem Reflex folgen, die alleinige Schuld woanders zu suchen.

Wenn ich auf eine Großveranstaltung gehe, muss ich aufmerksam sein. Diese Aufmerksamkeit bleibt eine Individuelle .

Nun geht die Suche nach den Schuldigen los. Wie immer werden sich die Gerichtsverfahren hinziehen, bis sich das Interessenur noch auf die direkt betroffenen beschränkt. Am Ende wird ein Bauernopfer zum Abschuss freigegeben und obwohl alle Bauchschmerzen mit der Entscheidung haben, wird doch gehofft, dass die Geschichte somit erledigt und schnell vergessen sein wird.

So leicht geht es leider nicht!

Denn es bleibt etwas zurück. Nicht nur der Schmerz und die Trauer der Betroffenen sondern auch die Erkenntnis, das die Entscheidungsträger zu oft von anderen Motiven bestimmt werden, oder es ihnen einfach an Fachkompetenz mangelt. Wir können heute nicht mehr davon ausgehen, dass die „Leistungsträger“ das Wohl der Menschen als oberste Prämisse ansehen, sondern einem Geflecht aus Machtinteressen, Abhängigkeiten und Profit denken unterworfen sind. Wir dürfen diesen „durchschnittlich Begabten“ nicht das Feld überlassen, sondern sollten versuchen eigene Strukturen aufzubauen, um bei relevanten Entscheidungen Mitspracherecht zu erlangen. Denn wenn man ihnen die alleinige Vorherrschaft überlässt, kann es (wie gesehen) schnell zur Katastrophe führen. Eine Einmischung in politische Entscheidungen ist dringend notwendig, sonst bleiben wir der Spielball der Macht und werden nur als Urnenpöbel degradiert, der alle 4 Jahre zur Wahl gehen soll, damit alles so weitergehen kann wie gehabt.

Eins möchte ich noch am Schluss erwähnen. Herr Schaller hat nach dem Vorfall das Ende der Loveparade ausgerufen. Dem möchte ich entgegnen „Wer glaubt er eigentlich wer er ist?“ Die Technobewegung gab es ohne ihn und sie wird auch ohne ihn weiter existieren. Nur weil er die Rechte für einen Namen erworben hat, hat er noch nicht mal im Ansatz das Recht so einen Blödsinn abzusondern. Wenn jemand den Tod der Parade beschließt, so bleibt dies immer noch der Szene selbst vorbehalten, Herr Schaller gehört schon mal gar nicht dazu. Außerdem gibt es viele alternative Paraden die den Kommerz der Loveparade schon lange skeptisch betrachtet haben. Sie werden weiter ein Hort des Feierns bleiben.

Eins hat Herr Schaller jedoch noch zu tun, er sollte den Namen Loveparade wieder freigeben. Er hat es geschafft, dass aus einer friedlichen Parade ein Desaster geworden ist, damit hat er das Recht verloren diesen Namen weiterhin zu nutzen. Wenn sie noch einmal aufgelebt werden sollte, dann nur durch die Technogemeinde selbst, um wieder das zu werden was sie einmal war. Eine für alle offene, friedliche, nicht auf Profit ausgelegte Megaparty.

Rave on Verpeilte dieser Welt!

In Gedenken an die Opfer!

Geschrieben von bookfield




Auf Spurensuche in Berlin – Weil in Berlin immer alles etwas anders ist …

… wird hier auch mit der Altstadt ganz anders umgegangen, als gewöhnlich: Während sich normale Städte mit historischen Bestandteilen ihrer Altstadt gerne und ausgiebig schmücken und sie mit viel Aufwand an Kosten und Mühen konservieren, wandelt sich die Mitte Berlins seit eh und je ständig und gründlich.

Diese Besonderheit und aktuelle Diskussionen zur Frage, wem gehört die Mitte Berlins und was gehört hierher, eben erst wegen der Gestaltung des Areals am Roten Rathaus, hat das Stadtmuseum zum Anlass genommen, eine großangelegte Fotoausstellung mit dem Titel BERLINS VERGESSENE MITTE – STADTKERN 1840-2010 – gleichzeitig der Beitrag des Stadtmuseums zum „Europäischen Monat der Fotografie“ – zu zeigen. Nicht etwa Randerscheinung im Jahresprogramm, sondern ein „Kernprojekt“ und wichtiger Service für jeden Berliner, der heute hier lebt: „Das muss man einfach wissen, um über die Stadt der Zukunft zu entscheiden“, meint Dr. Franziska Nentwig, Generaldirektorin des Stadtmuseums.Dass die Altstadt von Berlin weder am Alex lag noch am Schlossplatz, sondern dazwischen, und auch nicht rechteckig war, sondern „rund wie eine Boulette“, erfährt der Ausstellungsbesucher aus alten Stadtplänen, Kupferstichen und Zeichnungen.

Die Dokumentation konzentriert sich auf den Veränderungsprozess, der mit der Industrialisierung begonnen hat und dem sich eigentlich zu keinem Zeitpunkt Stadtverwaltung oder Bürgertum entgegen gesetzt haben. Kriegsschäden taten ein Übriges, so dass von der historischen Altstadt am Ende lediglich die St. Marien- und die Nikolaikirche übrig geblieben sind!

In der Ausstellung ist das vermutlich früheste Foto zur Stadtbilddokumentation enthalten. Es zeigt den Eckturm des Berliner Rathauses kurz vor seinem Abriss – zur Verbesserung der Verkehrssituation. Das war damals einer der häufigsten Gründe für Abriss und Baumaßnahmen, denn damals seien die Stadtväter „unendlich verkehrsbegeistert“ gewesen. Und dem musste sich halt im Zuge der Modernisierung alles unterordnen. Eher utopisch waren die Ideen während der Weimarer Republik, und in Schaukästen kann man Entwürfe sehen, die zum Glück nie realisiert wurden. Das DDR-Regime baute weite Teile von Berlin-Mitte zum Staatsforum um, was nach deren Untergang rigoros wieder getilgt wurde.

Zum Beispiel das „Ahornblatt“, ein Renommierprojekt für die Architektur der Moderne in Berlin. Aus eigener Initiative hat die Fotografin Christine Kisorsy (1968 in New York geboren, heute in Berlin zuhause) das Ganze vor und während des Abrisses dokumentiert, während von offizieller Seite gar kein Interesse bestand.

Um den Schwerpunkt bei der Fotokunst zu belassen, wurde darauf verzichtet, vorhandene Fotografien zu vergrößern. Und wo die alten Aufnahmen nicht mehr verwendbar waren, wurden Neuprints mit alten Techniken auf Silbergelantine- oderKollodiumpapier im Originalformat erstellt. Wer also weitsichtig ist, sollte zum Ausstellungsbesuch lieber seine Lesebrille mitbringen, damit ihm die Feinheiten nicht entgehen. Fotokunst neueren Datums von Karl Brandmann (Serie vom Fischerkiez) und Arved Messmer (Panoramaaufnahmen) findet sich aber ebenfalls. Und parallel zur Hauptausstellung wird im dritten Stock die Ausstellung FILETSTÜCKE – VEXIERBILDER DER BERLINER MITTE von Barbara Metselaar Berthold (Siegerin des Künstlerinnenprogramms des Berliner Senats) gezeigt.

Wichtig ist auch das Veranstaltungsprogramm zur Ausstellung. Da sind nämlich die Berliner gefragt, die mitwirken und Klartext mitreden sollen, wenn zum Beispiel in der Nikolaikirche über den „Altstadtstreit“ und „Die Zukunft der BerlinerAltstadt“ diskutiert wird. Nicht nur die Erwachsenen sind gefragt, sondern auch die Kinder. Allerdings geht es hier nicht ums Reden, sondern um Handfestes: Sie sollten unter anderem alles in eine „Zeitkugel“ packen, was ihnen wichtig und erhaltenswert erscheint. Danach wird die Kugel für 20 Jahre eingelagert und dann, bestenfalls im Beisein aller Beteiligten ausgepackt.

Sowas sollte man doch nicht nur auf Kinder beschränken, sondern ruhig auch eine Erwachsenen-Zeitkugel packen, wurde bei der Museumsleitung schon angeregt und für gut befunden. Trotzdem wird das wohl nicht mehr ins Rahmenprogramm aufgenommen werden. Unsere Anregung: mit der eigenen Clique einfach selber machen. Und vielleicht kommt dann in 20 Jahren in einer Zeitkugel sogar ein Kreuzberger zum Vorschein 🙂

 

Info

Die Ausstellung BERLINS VERGESSENE MITTE reicht weit über den Monat der Fotografie – der in der vierten Auflage seinerseits schon auf sechs Wochen ver-längert wurde – hinaus und ist bis zum 27. März 2011 im Ephraim-Palais des Stadtmuseums (Poststraße 16, im Nikolaiviertel) zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 12 bis 20 Uhr; Heiligabend und Silvester geschlossen, 25.12. von 14 bis 18 Uhr, 26.12. von 10 bis 18 Uhr und Neujahr von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Angemeldete Schulklassen, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt!

Der EUROPÄISCHE MONAT DER FOTOGRAFIE, wurde heuer schon von Haus aus auf sechs Wochen erweitertet wurde, um die ganzen Vernissagen (140 Vernissage an 45 Tagen!) und Sonderveranstaltungen aller Art unterbringen zu könnnen. Der Monat der Fotografie endete offiziell am 28. November, trotzdem gehen viele Ausstellungen weiter und sprechen als Alternative zum x-ten Weihnachtsmarkt für einen Besuch in Galerien und Museen. Ausstellungsprogramm unter www.mdf-berlin.de .

Geschrieben von Jutta Wunderlich

 




Streetview

Vorbeugend gegen Graffiti und Tagging, lässt eine zunehmende Anzahl von Geschäftsinhabern thematisch deren Verkaufsware von Malern mit Spraydosen an die Ladenfassade malen. Entlang eines Erdgeschosses in der Skalitzer Straße am Schlesischen Tor wird der Wrangelkiez in voller Länge mit anbiedernden Veduten zelebriert. In den Wrangel- und Falckensteinstraßen tanzen eindeutig, aber eher zufällig, auf den Fassaden eines Fischladens, eines Cafés und eines Fahrradladens – welch eine Überraschung – Fische, eine Teetasse und ein Fahrrad. Davon sind weitere Beispiele in den anderen Kiezstraßen zu begutachten. Mit diesen für nicht sprachkundige Touristen sowie für Analphabeten wichtigen Hinweisen, wird der Kiez als Freiluftmuseum ins Mittelalter zurückversetzt.Mühevoll gemalte Streifen und Tierwelt an einem mit Neubau ergänztem und neulich sanierten Mietshaus haben aber die inoffiziellen Graffiti-Maler nicht daran gehindert, diese bunt zu bespritzen und mit groben Sprüchen zu kommentieren. Die Reparaturarbeiten laufen…

Der Graffitispruch „This is not America“, der jahrelang an der Fassade von Kaisers zu lesen ist, wird in vielerlei Hinsichtimmer schwächer. Es ist abzuwarten, ob dieser Spruch nach der bevorstehenden Fassadensanierung wieder hergestellt wird. Wenn nicht, könnten Orientierungsprobleme unter den Menschen eintreten.

Werden die Touristen, die Bewohner und die Hausbesitzer diese Fassadenbemalungen als Ausdruck einer hoch gelobten kreativen und talentierten Künstlerszene im Kiez verstehen? Oder wird der Wrangelkiez als Bühne für Auswärtige angeboten, um dieses Image zurecht zu zimmern?

Vor einigen Jahren wurde ein Halbdutzend Brandwände im Rahmen des internationalen Projekts „Backjumps“ bunt bearbeitet. Diese, in meinen Augen recht gelungenen Bilder, sind allerdings kontrovers in ihrer angedeuteten Verbindung von traditioneller Kreuzberger Politwandmalerei von vor 30 Jahren und aktueller illegaler Street Art. Dieser Konflikt zeigt sich anhand der Graffiti, die vielerorts in die beauftragten Wandbemalungen eingreifen.

Einer der Wenigen, der diesen inhaltlichen Widerspruch überwindet, ist „Blu“. Überrascht war ich vom Mural gegenüber Netto in der Köpenicker Straße: die Mauer baut sich nach dem Fall in Euro-Scheinen wieder auf. Seine anderen Bilder in Kreuzberg sind auch nicht bloß ästhetische Selbstdarstellungen, sondern im Stadtraum gut platzierte Images, die zum Nachdenken anregen.

Geschrieben von William Wires