Illegaler Gemüseanbau – Utopie oder Zukunft? Eine weitere Zeitreise ins Jahr 2030…

Erst in der Ausgabe 24 habe ich die Zukunft von Kreuzberg (1. Mai) im Jahr 2030 prognostiziert. Wie das Leben so spielt, liefert mir ausgerechnet die Gentechnologie und ihre Verfechter einen Anlass, um erneut eine Prognose zu erstellen. Diesmal nicht über eine lokale Veränderung, sondern eine, die weltweite Auswirkungen hätte, träfe sie denn ein.

Wir schreiben das Jahr 2030. Die Menschen laufen durch die Straßen, der Verkehr rollt und alles scheint wie immer. Doch der Schein trügt. Ein Blick in die Auslagen der Obst- und Gemüsehändler reicht aus, um zu erkennen, dass die Gentechnikkonzerne mit ihrem Bestreben den Agrarsektor zu beherrschen, erfolgreicher waren, als der aufbegehrende Widerstand. Die Preise für Kartoffeln, Äpfel und Erdbeeren sind in astronomische Höhen gestiegen. Auch die sonst immer am günstigsten angebotene Obstsorte – die Banane – kostet ein vielfaches des heutigen Preises. Sinkende Löhne und steigende Lebenshaltungs- und Lebensmittelkosten sind verantwortlich dafür, dass die Kunden von den Ständen der Händler fern bleiben. Wie Blei liegt das Obst und Gemüse als Ladenhüter in den Auslagen. Auch die großen Lebensmittelketten bieten nur noch eine kleine Auswahl für ihr zahlungskräftigeres Klientel an.

Als ich so durch die Straßen lief sprach mich ein junger Mann an: »Erika?«

»Ich? Erika? Seh ick so aus oder wat?« erwiderte ich verwundert.

»Quatsch, man. Ich wollte wissen ob du´n Kilo Erika kaufen willst.«

»Die bekomme ich doch auch im Laden um die Ecke.«

»Eben nicht!«, erwiderte mein Gegenüber. »Dort bekommst du nur die Gentechnik verseuchten ›Möchte-gern-Kartoffeln‹.«

Als er das sagte, lief er um mich herum und musterte mich von oben bis unten: »Bist du´n Bulle oder wirklich so doof?«, fragte er.

»Ick? Ein Bulle? Nee, da kannst du beruhigt sein. Aber wieso fragst du? Ist ´nen Kilo Kartoffeln heutzutage illegal?«

»Die Kartoffeln, die du im Handel kaufen kannst nicht, aber für die, die ich hier habe kommst du länger in den Knast, als für ein Kilo feinstes Marihuana.«

Verwundert schaute ich mein Gegenüber an. Dieses bemerkend, fragte er mich: »Du hast echt keine Ahnung was hier abgeht oder?«

»Nee, aber wenn ich dir die Wahrheit erzähle glaubst du mir die auch nicht.«

»Versuch´s. Ich kläre dich im Gegenzug über die Wahrheit auf.«

Ich erzählte ihm von meinem Treffen mit dem Unbekannten, der mich in seiner Zeitmaschine in die Zukunft reisen ließ, von meinem Erlebnis am 1. Mai 2030 und dass mich der Unbekannte nach meiner Ankunft erneut reisen ließ, als ich las, das Monsanto und Co. ihre Patentrechte ausweiten wollten. Nun war ich vor Ort, um meine Recherche durchzuführen und daraus einen Bericht für den Kreuzberger zu schreiben. Jetzt schaute mein Gegenüber verwundert drein. »So nun du!«, sagte ich.

»Na dann, komm mal mit.«. Wieder einmal vertraute ich einem mir völlig Unbekannten. Ein paar Straßen weiter standen wir vor einer Haustür. Er öffnete sie und wir gingen über mehrere Hinterhöfe. Am Ende standen wir vor einer Holztür. Dahinter führte eine steile Treppe in einen schlecht beleuchteten Kellergang. Am Ende befand sich eine Metalltür mit mehreren Schlössern. Nachdem der »Kartoffeldealer« die Tür geöffnet hatte und wir durch den zum Schutz angebrachten Vorhang getreten waren, standen wir in einem Kellergewölbe. Der Raum war ungefähr 200 Quadratmeter groß. Überall hingen Leuchten von der Decke, die in erster Linie dazu gedacht waren, Tageslicht für die unter ihnen wachsenden Kartoffeln zu imitieren. Eine Bewässerungsanlage versorgte die Pflanzen mit Wasser und allen nötigen Nährstoffen. Ventilatoren sorgten für ein angenehmes Raumklima.

»Hier unten gedeihen die Kartoffeln fast besser als in der freien Natur. Das liegt an dem kleinen Beet und der exklusiven Pflege.«

Ich war erstaunt: »Die ganze Mühe für Kartoffeln? Ist mit Gras kein Geld zu verdienen?«

»Es gibt Kartoffelsorten, für die bezahlen Küchenchefs 800 Euro je Kilo. Die ›La Bonotte‹ kostete im Jahr 2013 schon bis zu 500 Euro das Kilo. Jetzt kostet sie im Durchschnitt um die 2.000 Euro das Kilo.«

»Und was soll ein Kilo Erika kosten?«

»Da diese hier unter künstlichen Bedingungen gedeien, sind sie etwas günstiger. Aber einen Hunderter musst du schon legen.«

»100 Euro für ein Kilo Kartoffeln?«

»Gentechnikfreie Kartoffeln!«, betonte der Mann ohne Namen.

»Wie sieht es bei den Tomaten und so aus?«

»Alles was indoor angebaut werden kann, noch erschwinglich. Aber Äpfel, Kirschen und so weiter kannst du nicht bezahlen. Dieses Obst ist bis auf ganz seltene Ausnahmen nur über Supermärkte erhältlich.«

»Warum macht ihr euch die Mühe?«

»Die Saatgutkonzerne wie Monsanto, Syngenta, HiBred und Co. haben den Markt unter sich aufgeteilt und ihr eigenes Saatgut am Markt eingeführt. Durch ihre Patente besitzen sie das weltweite Monopol. Zur Wahrung ihrer Rechte haben sie tausende von Kontrolleuren in der ganzen Welt angestellt. Die Schnüffler sind nur damit beschäftigt, illegale Anpflanzungen aufzuspüren und die Einhaltung der Konzessionvorgaben durchzusetzen. Jeder – vom Landwirt bis zum Kleingärtner – muss eine Konzession für seine Bäume, Sträucher oder das Gemüse im Beet vorweisen. Wenn nicht, geht es direkt ab zum Haftrichter.«

»Unglaublich«, erwiderte ich. »Leider reicht mein Budget nicht, um dir deine Kartoffeln abzukaufen und damit den Widerstand zu unterstützen. Aber ich könnte für dich nach meiner Rückkehr ins Jahr 2013 ein paar Kilo Kartoffeln und Kirschen mit der Zeitmaschine in die Zukunft schmuggeln.«

Meine scherzhaft getätigte Aussage beeindruckte mein Gegenüber sehr: »Das würdest du tun? Wäre ja der Hammer. Die Leute hier wären dir unendlich dankbar, nicht mehr auf den Gentechnik-Fraß angewiesen zu sein.«

»Aber ich muss erst einmal den Besitzer der Zeitmaschine fragen, versprechen kann ich dir noch nichts. Wo ich gerade beim Thema bin: Ich muss los. Der Typ, dem die Zeitmaschine gehört, hat mir zwei Stunden gegeben und die sind bald vorbei.«

Wir verließen den Keller und gingen zu dem Zeitungsladen in der Manteuffelstraße, wo mein Reisegefährt stand.

Verwundert fragte der Kartoffeldealer: »Du hast mich nicht verarscht?! Du kommst wirklich aus dem Jahr 2013?«

»Ich wusste, dass du mir nicht glauben würdest. Nein, ich habe dich nicht verarscht und ja, ich komme tatsächlich aus dem Jahr 2013.«

Zum Abschied drückte mir der Unbekannte einen Beutel mit Kartoffeln in die Hand. »Hier, probier´ die mal, du wirst den Unterschied schmecken. Die sind sogar um einiges besser als die, die 2013 im Handel waren.«

»Danke. Und danke auch für deine eindrucksvolle Vorführung vom Indoor-Gemüseanbau. Das war echt interessant.«

Ich bestieg die Zeitmaschine, schloss die Tür und versetzte mich wieder in das Jahr 2013. Ein Mal mehr stand ich nach meiner Rückkehr vor dem mir noch immer unbekannten Zeitmaschinen-Besitzer und antwortete ihm auf seine Frage, wie es denn gewesen sei: »Ich habe Dinge gesehen, die glaubst du nicht. In ein paar Jahrzehnten könnten tausende fleißige Kleinbauern, die heutzutage mit Grünem Daumen illegal Marihuana anbauen, umsatteln und Tomaten, Äpfel und Kartoffeln, versteckt vor den staatlichen Behörden und den Fahndern der Gentechnik-Konzerne züchten.«

So etwas hat es früher nicht gegeben!

Euer Trend Scout

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