Lesermeinungen zur Ausgabe 23 zu »Kreuzberg ausverkauft?«
Der Text von Kersten in der März/April Ausgabe spricht viele Probleme an, mit denen sich die BewohnerInnen Kreuzbergs konfrontiert sehen. Diese Entwicklung wurde bereits Ende der 80er Jahre von einigen vorhergesagt und spätestens nach dem Mauerfall für das damalige Soziotop bittere Realität.
Unter unserem Namen wurden seitdem – ohne personelle Kontinuitäten – unzählige Aktionen gegen die kapitalistische Umwandlung im Kiez durchgeführt. Anfängliche Kübelaktionen gegen Luxusrestaurants trafen wohl noch auf einige Zustimmung, spätestens mit dem Auftreten der Gruppe »Klasse gegen Klasse« wurden aber auch die unterschiedlichen Interessenlagen der Menschen im Kiez offenkundig. Seitdem haben mehrere Generationen von »Autozündlern« und »Mai-Chaoten« mehr oder weniger im luftleeren Raum gewirkt, ohne dabei einen engeren Bezug zur Stimmungslage der meisten KreuzbergerInnen zu haben. Wir, und die meisten unserer Vorgänger, wollen weder einen Lokalpatriotismus pflegen oder ganz konservativ vermeintlich bessere Zeiten erhalten. Schon gar nicht sollen Menschen wegen ihres höheren Einkommens oder andere Konsumgewohnheiten bekämpft werden, was anscheinend öfter unterstellt wird.
Vielmehr geht es immer darum das Recht auf Wohnraum, die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben, am öffentlichen Raum, zu verteidigen bzw. zu erkämpfen.Aus der ersten Generation der Hausbesetzer in Kreuzberg sind einige inzwischen bei den Organisatoren des Myfest gelandet oder arbeiten als Sozialarbeiter in Jugendeinrichtungen mit der Polizei zusammen. So wie andere ihren eigenen wirtschaftlichen/beruflichen Aufschwung an die (gastronomische) Entwicklung des Bezirks gekoppelt haben. Was die Mehrheit der AnwohnerInnen über diese Entwicklung denkt, wissen wir nicht. Irgendwann sind unsere Kontakte, die einmal über den eigenen Tellerrand hinaus gingen, abgerissen. Viele sind nach Neukölln ausgewandert und auch dort schon wieder vertrieben worden.
Kersten ruft in seinem Text ausdrücklich nicht zur Gewalt auf und darauf würden auch wir uns nicht reduzieren lassen wollen. An irgendeinem Punkt muss Widerstand jedoch auch praktisch werden und stößt dabei mit dem Gesetz zusammen.
Eigentlich wollen wir diesen Punkt nicht alleine bestimmen und auch nicht gegen die Stimmung der Bevölkerung in 36 handeln, jedoch die Resonanz auf unsere Texte, Veranstaltungen und Demos blieb in den letzten Jahren zum größten Teil szeneintern.
Lediglich bei wenigen Sachen, wie z.B. die Zwangsräumung in der Lausitzer Str. im Februar, können wir noch eine gewisse Akzeptanz unsere Aktionsformen registrieren. Wir gehen davon aus, dass mehr Menschen hier die Position von Kersten teilen, dass die Kommentare im Tagesspiegel über »Linksradikale« nicht die Meinung der Mehrheit wiedergeben.
Wir sind allerdings auf einen regeren Kontakt oder wenigstens Austausch mit unserer Nachbarschaft angewiesen, um die in dem Artikel »Kreuzberg Ausverkauft?« skizzierten Probleme angehen zu können, ohne dabei völlig abgehoben vom Rest zu erscheinen. Interessant wäre, wer von den gelegentlichen Autobränden genervt ist und ob es nicht doch klammheimliche Freude gibt, wie die Randale am 1.Mai (oder anderen Tagen) tatsächlich aufgenommen wird, wie die Ansichten zu dem rassistischen Diskurs über die Situation im Görli sind und ob die Verdrängung durch Gentrification hingenommen wird wie schlechtes Wetter oder eben nicht.
Die Hetze in den Medien gegen uns ist seit Jahren fester Bestandteil der Medienlandschaft, wir erleben manchmal direkten Hass aber auch Zustimmung; ob wir von einem authentischen Meinungsbild unter KreuzbergerInnen ausgehen oder dem einen oder anderen Trugschluss aufsitzen, ist völlig unbekannt. Daran wollen wir etwas ändern. Es wird uns immer geben und unser Handeln soll dabei nicht den Interessen der Leute im Kiez widersprechen oder feindlich wirken. Das ist ein Diskussionsangebot weil wir uns noch nicht für eine nihilistische Tendenz entschieden haben.
Autonome Gruppen