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Schlagwort: William Wires - Der Kreuzberger

Pimp a Prejudice

Das Grafitti “This is not America” ist mir irgendwann nach dem 9/11 auf der Fassade des hässlichen Eckhauses, worin sich eine Filiale der Kaiser´s Tengelmann AG befindet, bewußt aufgefallen. Der Spruch könnte eine Reaktion auf “America is everywhere” im Sinne von Kulturimperialismus oder der “Koalition der Willigen” sein und wahrscheinlich weniger eine Referenz auf David Bowie´s gleichnamig – betiteltes Lied, das Mitte der 1980er erschien. In dem anschließenden Grafitti ist zu lesen:”Here is not everywhere” (Hier ist nicht überall). Das “So what?” (Na, und?) hätte ich auch geschrieben. Inzwischen habe ich festgestellt, dass das von mir gemalte Ölbild – hauptsächlich wegen des Spruches – für viele Menschen anscheinend viele unterschiedliche Bedeutungen trägt. Die Frage bleibt, ob die Touristen und die Kiezeaner irgendetwas konkretes oder Inhaltsvolles mit dem Spruch verbinden. Auf jeden Fall ist die Postkarte einer meiner Top-Seller.

Als gebürtiger Amerikaner, der seit mehr als einem Jahrzehnt vor der Entstehung des Grafittis im Kiez wohnt, sehe ich in dem Spruch ein Paradox. Lange vor dem Einzug von McDonalds und Subway, zeigt der Wrangelkiez viel vom amerikanischen “way of life”: Die sonstigen englischsprachigen Grafittis, die starke Identifizierung mancher Gruppen mit Hip-Hop und Rap, die vielfältigen, aber gleichzeitig globalisierten “life styles”, die internationalen Fastfood-Läden und “Coffee to go”. Bald könnte Halloween ein arbeitsfreier Feiertag im Kiez sein. Die “Ghetto Boyz” finden es bestimmt “cool”, von der QM gefördert, Halloween als kultur-übergreifendes Hip-Hop Event zu gestalten. Why not?

Währemd ich das Ölbild vor Ort malte, erhielt ich sogar Zuspruch von den “Ghetto Boyz”: Einer aus der Gruppe äußerte seinen Wunsch mal The Bronx besuchen zu wollen – wo nebenbei gesagt, mein Großvater vor langer Zeit geboren wurde und gelebt hat – wobei The Bronx der letzten Jahrzehnte in sozialer Hinsicht kaum etwas mit dem Wrangelkiez zu tun hat. Manchmal wird Kultur im Kiez eben wie ein Hamburger verspeist.

Abschließend werde ich mit einigen Zitaten, die die Konfliktlinie zwischen kultureller Globalisierung (z. B. Amerikanisierung) und lokaler Identität aufzeigen: “Wenn die Amerikanisierung in einem Land zunimmt, beginnen auch die Länder drumherum ihre eigene Identität zu verlieren” sagt Chuck D von Public Enemy. “Dieser (amerikanische) Einfluss kann aus den Medien kommen. Und Entertainment benutzt die Medienrecht gut. Was davon ausgesiebt wird, diese Interpretation kann Menschen, die kein Selbstbild haben, sehr stark beeinflussen.” (Rap is elitist”, Interview mit Chuck D, The Guardian, 7 Mai 2003)¹

“Wie Barack Obama viele, viele Mal in der Vergangenheit gesagt hat, verbreiten Rap Texte zu oft Frauenfeindlichkeit, Materialismus und menschenunwürdige Bilder, denen er seine Töchter oder irgendwelche Kinder nicht ausgesetzt sehen will,” sagt Obamas Presse-sprecher Bill Burton. (Presseerklärung in Bezug auf das Lied “Politics As Usual” by Ludacris)²

“(E)in wirklich schlauer Mensch, vermutlich ein Amerikaner, stand davor und hat gedacht: nanu, Kaiser´s, in amerika gibts gar kein Kaiser´s, dann muss ich schnell alle Leute warnen das this here not america ist.” (Kommentar zu einem Foto von Kaiser´s auf Flickr)

Trotz alledem, was nur als eine weitere Anneigung der Hip-Hop-Kultur von jungen Menschen außerhalb der USA verstanden werden könnte, werde ich zeigen, dass der Berliner Fall einzigartig ist; dass die Auseinandersetztung mit Hip-Hop-Kultur in Berlin nicht vor der komplexen Geschichte der Stadt getrennt werden kann; dass Hip Hop in Berlin nicht verstanden werden kann, ohne Berücksichtigung der Gründe, warum junge Menschen so leicht geneigt sind, sich von der deutschen Kultur zu entfernen und zu einer imaginären globalen Hip-Hop-Gemeinschaft zu gehören.” (Templeton, Inez Horton (2003): “What´s so German About it? Cultural Identitiy in the Berlin Hip Hop Scene” (Dissertation)³

William Wires, 30. Oktober 2009

1 “when you have increased Americanisation, suddenly all the other countries around begin to lose their own identity,” he says. “And that(American) influence can come from the media. And entertainment rides media quite well. How it comes through that strainer, that interpretation can be very influential to the people that dont have a sense of themselves.”

2 “As Barack Obama has said many, many times in the past, rap lyrics today too often petuate misogyny, materialism and degrading imag es that he doesnt´t wnat his daughters or any children exposed to,” said spokesman Bill Burton.

3 “Despite what may be read as just another appropritation of hip hop culture by young people outside of the US, I will show that the Berlin case is unique; that the engagement with hip hop culture in Berlin cannot be separated from the city´s complex history; that hip hop in Berlin cannot be understood without considering the reasons young people are so easily inclined to distance themselves from German culture and belong to an imagined global hip hop community.”




“Bist Du Künstler?” “Was malst Du?” “Verkaufst Du das Bild?”

Das sind die häufigsten Fragen, die mir als Künstler während des Malens vor Ort gestellt werden, meistens von Kindern. Es sind komische Fragen, da ich einen Pinsel in der Hand habe und vor einer Staffelei stehe. Es sind aber auch Fragen, die vielleicht viele Maler beschäftigen. Es ist auch ungewöhnlich einen Maler auf der Straße bei der Arbeit zu sehen, da die meisten Künstler in einem Atelier arbeiten. Ich male fast immer draußen, um eine gewisse authentische Realität malerisch einzufangen. Zu groß ist die Gefahr, dass bei mir ein Bild wie ein abgemaltes Foto, gefroren in der Zeit, oder wie eine Illustration erscheinen könnte. Warum ich eine bestimmte Situation male, hat unterschiedliche Gründe –formale Gründe, da mich bestimmte Farben, Licht oder eine Perspektive interessiert, inhaltliche Gründe, wenn mir eine bestimmte Nachricht durch Hörensagen und Wandanschläge oder aus den Kiez-Zeitungen bekannt wird, und auch thematische Gründe. Manche Themen sind von lokaler Bedeutung, andere beziehen sich auf eine gesellschaftliche Problematik.

Die letzte Frage, ob ich das Bild verkaufe, ist während des Malens nicht besonders relevant: Das Bild ist noch nicht einmal fertig. Hinzu kommt, dass wahrscheinlich viele noch nie in einer Kunstgalerie waren und dementsprechend wenig Ahnung von den Preisen von Originalbildern haben. Die Entstehung meiner Bilder kann jeder mitverfolgen; es kostet nichts. Natürlich verkaufe ich Bilder.

ch male auf eine traditionelle realistische Art, die einem allgemeinen Publikum relativ schnell zugänglich ist. Bei meiner Freiluft-Malerei gibt es keinen zwingenden Grund eine formalistische Sprache zu erfinden; meine Intention ist eher bei dem, was ich male. Viele Bilder sind Portraits von einzelnen Läden und zeigen eineVielfalt an Fassadengestaltung und Repräsentationswille. Ein Restaurantbetreiber wollte wissen, warum keine Blumen in den Pflanzenkübeln zu sehen waren. „Da sind keine da“, musste ich erwidern. Auch die Eroberung des öffentlichen Raumes durch die Bestuhlung der Gehsteige ist offensichtlich geworden. Durch die Nachrichten, Graffiti und Anschläge erfuhr ich über einen Angriff auf den Geschmack und die kulturellen Sensibilitäten einiger Wrangelkiezbewohner – eine McDonald’s Filiale zieht in den Kiez ein.

Ein Tag vor der Eröffnung der „Fremdlinge“ in der Wrangelstraße, war ich mit meiner Staffelei und Farben vor Ort. Vielleicht war ein wenig Sensationsgeilheit dabei – das große Ereignis stand bevor. Komisch, dass das Bild unspektakulär und relativ düster geworden ist. Die Auszubildenden der nah gelegenen Berufsschule fanden mein Sujet witzig – und nach der Eröffnung entdeckten sie ihren großen Appetit auf Hamburger. Wie so oft wird eine Idee malerisch weitergeführt – zu China Box (es gibt inzwischen zwei in unmittelbarer Nähe zueinander am Schlesischen Tor!), Piccola Amore (sic) und anderen Fast Food Restaurants.

Eine andere Serie von Bildern, inspiriert von der Volksbefragung zur Nutzung des Spreeufers, befasst sich mit den Absperrungen am Fluss entlang. Ich habe viele der Zäune und Kontroll-punkte in den jeweiligen „idyllischen“ Szenerien gemalt. Tatsächlich entstehen solche Serien im Laufe der Zeit automatisch. Durch das Zusammen-stellen von Bildern in Serien werden sozial-politische und urbane Themen sichtbar.

Was und wo ich male, führt zu Reaktionen und informellen Gesprächen vor Ort mit dem Publikum. Das Bild „Not America“ entstand z.B. aus einer Situation, in der ein bestimmter Hauseigentümer mich am Tag zuvor vom Malen abzuhalten versuchte. Ich hatte meine Staffelei im öffentlichen Bereich vor Kaisers, am Streifen zwischen Straße und Gehweg aufgebaut. Auf die absurde Frage, ob ich eine Genehmigung (wofür?) hätte, habe ich lapidar erwidert: „Ich habe eine Erlaubnis vom Bürgermeister.“

Mehrheitlich freuen sich die meisten Geschäftsinhaber, wenn ich deren Läden portraitiere. Viele Betrachter sehen durch meine Bildausschnitte Gewohntes mit neuem – malerischem – Blick. Die Fokussierung entlarvt bislang unerkannte Realitäten. Einige erkennen nicht mal Kreuzberg in manchen Bildern: „Es war mir vorher nicht ganz bewusst, in was für einer schöne Nachbarschaft ich seit langem wohne!“ Ich bemühe mich, mich streng an das Gesehene zu halten, obwohl ich Graffiti, Autos und Menschen schon mal raus lasse, da diese die Komposition oder Farbigkeit stören können. Vor Ort, wo Eindrücke frisch sind, muss nichts erfunden oder interpretiert werden.

Da ich seit fast 20 Jahren im Wrangelkiez wohne, – die letzten Zehn male ich auf der Straße – sind viele meiner Bilder historisch geworden. „Spiel & Spaß“, ein Ölbild von der Ecke Falckenstein- und Schlesischer Straße, ist einige Tage vor den Umbauarbeiten für Subway entstanden. Seit der Entstehung des Ölbildes „Komfort“ haben sich die Ladenkonstellation und Graffiti geändert. Es gibt auch ein detailliertes Aquarell von dem Abschnitt der Wrangelstraße, wo sich das Lokal Sofia seit einigen Jahren befindet. Das Bild „Bahr“ soll das schöne Existierende

zeigen: eine Brandwand, ein Passfoto-Automat und einige Bäume. Wollen die Kiezbewohner, dass das alles einem großen Hotel weicht? Im Bild „Öko-Sanierung“ steht die Frage, was wird aus dem Haus an der Ecke Wrangel- und Cuvrystraße? Aus den Bewohnern?

Die Individualität der Bewohner des Hauses sieht man an den Balkonen. Vor dem Haus steht eine grüne Glassammeltonne. Ein Graffiti-Gesicht ganz oben winkt mit dem Arm von der Hauswand als sage es „Tschüß“.

Es kann sein, dass viele denken, ich wäre nur im Wrangelkiez als Maler aktiv. Das denken auch manche im Graefe-Kiez, oder in der Mainzer Neustadt, in Tallinn/ Estland, und in der Drei-Städte Gegend von Gdynia-Sopot-Gdansk/ Polen. In letzterem Ort habe ich viele der S-Bahn Stationen gemalt, und damit die Architektur vor dem, von der EU geförderten, Umbau und der gestalterischen Vereinheitlichung dokumentiert.

„Haben Sie eine Galerie, wo man Ihre Bilder sehen kann?“ Eine Galerievertretung im professionellen Sinn habe ich nicht. Auf meiner Website (www.williamwires.com) und, vor allem, auf den Postkarten sind einige meiner Bilder zu sehen. Mein Atelier ist die Straße.

William Wires, Juli 2009