Pimp a Prejudice
Das Grafitti “This is not America” ist mir irgendwann nach dem 9/11 auf der Fassade des hässlichen Eckhauses, worin sich eine Filiale der Kaiser´s Tengelmann AG befindet, bewußt aufgefallen. Der Spruch könnte eine Reaktion auf “America is everywhere” im Sinne von Kulturimperialismus oder der “Koalition der Willigen” sein und wahrscheinlich weniger eine Referenz auf David Bowie´s gleichnamig – betiteltes Lied, das Mitte der 1980er erschien. In dem anschließenden Grafitti ist zu lesen:”Here is not everywhere” (Hier ist nicht überall). Das “So what?” (Na, und?) hätte ich auch geschrieben. Inzwischen habe ich festgestellt, dass das von mir gemalte Ölbild – hauptsächlich wegen des Spruches – für viele Menschen anscheinend viele unterschiedliche Bedeutungen trägt. Die Frage bleibt, ob die Touristen und die Kiezeaner irgendetwas konkretes oder Inhaltsvolles mit dem Spruch verbinden. Auf jeden Fall ist die Postkarte einer meiner Top-Seller.
Als gebürtiger Amerikaner, der seit mehr als einem Jahrzehnt vor der Entstehung des Grafittis im Kiez wohnt, sehe ich in dem Spruch ein Paradox. Lange vor dem Einzug von McDonalds und Subway, zeigt der Wrangelkiez viel vom amerikanischen “way of life”: Die sonstigen englischsprachigen Grafittis, die starke Identifizierung mancher Gruppen mit Hip-Hop und Rap, die vielfältigen, aber gleichzeitig globalisierten “life styles”, die internationalen Fastfood-Läden und “Coffee to go”. Bald könnte Halloween ein arbeitsfreier Feiertag im Kiez sein. Die “Ghetto Boyz” finden es bestimmt “cool”, von der QM gefördert, Halloween als kultur-übergreifendes Hip-Hop Event zu gestalten. Why not?
Währemd ich das Ölbild vor Ort malte, erhielt ich sogar Zuspruch von den “Ghetto Boyz”: Einer aus der Gruppe äußerte seinen Wunsch mal The Bronx besuchen zu wollen – wo nebenbei gesagt, mein Großvater vor langer Zeit geboren wurde und gelebt hat – wobei The Bronx der letzten Jahrzehnte in sozialer Hinsicht kaum etwas mit dem Wrangelkiez zu tun hat. Manchmal wird Kultur im Kiez eben wie ein Hamburger verspeist.
Abschließend werde ich mit einigen Zitaten, die die Konfliktlinie zwischen kultureller Globalisierung (z. B. Amerikanisierung) und lokaler Identität aufzeigen: “Wenn die Amerikanisierung in einem Land zunimmt, beginnen auch die Länder drumherum ihre eigene Identität zu verlieren” sagt Chuck D von Public Enemy. “Dieser (amerikanische) Einfluss kann aus den Medien kommen. Und Entertainment benutzt die Medienrecht gut. Was davon ausgesiebt wird, diese Interpretation kann Menschen, die kein Selbstbild haben, sehr stark beeinflussen.” (Rap is elitist”, Interview mit Chuck D, The Guardian, 7 Mai 2003)¹
“Wie Barack Obama viele, viele Mal in der Vergangenheit gesagt hat, verbreiten Rap Texte zu oft Frauenfeindlichkeit, Materialismus und menschenunwürdige Bilder, denen er seine Töchter oder irgendwelche Kinder nicht ausgesetzt sehen will,” sagt Obamas Presse-sprecher Bill Burton. (Presseerklärung in Bezug auf das Lied “Politics As Usual” by Ludacris)²
“(E)in wirklich schlauer Mensch, vermutlich ein Amerikaner, stand davor und hat gedacht: nanu, Kaiser´s, in amerika gibts gar kein Kaiser´s, dann muss ich schnell alle Leute warnen das this here not america ist.” (Kommentar zu einem Foto von Kaiser´s auf Flickr)
Trotz alledem, was nur als eine weitere Anneigung der Hip-Hop-Kultur von jungen Menschen außerhalb der USA verstanden werden könnte, werde ich zeigen, dass der Berliner Fall einzigartig ist; dass die Auseinandersetztung mit Hip-Hop-Kultur in Berlin nicht vor der komplexen Geschichte der Stadt getrennt werden kann; dass Hip Hop in Berlin nicht verstanden werden kann, ohne Berücksichtigung der Gründe, warum junge Menschen so leicht geneigt sind, sich von der deutschen Kultur zu entfernen und zu einer imaginären globalen Hip-Hop-Gemeinschaft zu gehören.” (Templeton, Inez Horton (2003): “What´s so German About it? Cultural Identitiy in the Berlin Hip Hop Scene” (Dissertation)³
William Wires, 30. Oktober 2009
1 “when you have increased Americanisation, suddenly all the other countries around begin to lose their own identity,” he says. “And that(American) influence can come from the media. And entertainment rides media quite well. How it comes through that strainer, that interpretation can be very influential to the people that dont have a sense of themselves.”
2 “As Barack Obama has said many, many times in the past, rap lyrics today too often petuate misogyny, materialism and degrading imag es that he doesnt´t wnat his daughters or any children exposed to,” said spokesman Bill Burton.
3 “Despite what may be read as just another appropritation of hip hop culture by young people outside of the US, I will show that the Berlin case is unique; that the engagement with hip hop culture in Berlin cannot be separated from the city´s complex history; that hip hop in Berlin cannot be understood without considering the reasons young people are so easily inclined to distance themselves from German culture and belong to an imagined global hip hop community.”