Verständnis (Vorwort Ausgabe 26)

»Werte Fahrgäste, aufgrund einer technischen Störung ist der Zugverkehr auf der Linie 1 unregelmäßig. Wir bitten Sie um Verständnis für die Verzögerungen.«

So geschehen am 22. August 2013 um 12.25 Uhr auf dem U-Bahnhof Schlesisches Tor in Berlin-Kreuzberg. Manchmal ist es nur ein Satz, der einen Gedanken anregt. In diesem Fall war es sogar nur ein Wort: Verständnis. Ein Mal mehr wurde ich angehalten Verständnis für etwas zu haben. Verständnis soll ich immer wieder haben. Verständnis für eine zu spät fahrende U-Bahn, Verständnis für Fehler in der Personalplanung bei der Bahn, Verständnis für geistig minderbemittelte Polizisten, die in »starken Stresssituationen« Jugendliche, Behinderte und Senioren verprügeln, Verständnis für Manager, die ihre Mitarbeiter ausbeuten, Verständnis für die wieder ausbezahlten Bonis für Banker von systemrelevanten Banken, Verständnis für die Machenschaften der Konzerne und nicht zu guter Letzt soll ich auch noch Verständnis für Politiker aufbringen, die ihren Aufgaben nicht im Ansatz nachkommen und unser Volksvermögen verzocken.

Stets wird versucht Missgeschick, Dummheit und Unfähigkeit mit noch so weit an den Haaren herbeigezogenen Ausreden und Argumenten zu entschuldigen und die Öffentlichkeit darum gebeten (falsches!) Verständnis zu haben. »Ich wusste nicht«, »ich konnte nicht«, »ich hatte ja keine Ahnung« sind noch die ehrlichsten Kommentare. Jedoch, wenn jemand »nicht weiß«, »nicht kann« oder »keine Ahnung hat«, sollte er es sein lassen. Das gilt für Manager, Berater, Banker, Polizisten, Politiker und alle anderen.

Die Regimeelite, Vorstandsetagen von Unternehmen und Konzerne quillen über von Leuten wie Schröder, von der Leyen und de Maiziére, die alle samt nichts »wissen«, nichts »können« und »keine Ahnung« haben. Überall lungern lauter kleine Wowereits, Wulffs und Ackermänner herum. Die Liste mit systemrelevanten Menschen, die durch ihr Tun stets in Verlegenheit kommen die Öffentlichkeit um Verständnis bitten zu müssen, ist endlos lang.

Bittet jedoch im umgekehrten Fall der Kunde oder Bürger um Verständnis beim Regime oder den Konzernen, ist die Resonanz zumeist negativ und er wird behandelt, wie der letzte Dreck, handeln Regime und Konzerne wie der, einst von Klaus Kinski beschriebene Jesus Christus: »Er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen.« Selbst wenn das Volk seinen Willen per Volksentscheid äußern soll, beugt das Regime das Recht, um die eigenen Interessen durchzusetzen und verlangt erneut Verständnis für diese Rechtsbeugungen. Die Zeit für Verständnis ist vorbei. Ich habe kein Verständnis mehr für zerschredderte NSU-Akten, für 600 Millionen Euro, die für ein flugunfähiges Fluggerät ausgegeben wurden, für Banken-Rettungsfonds, für menschenverachtend handelnde Konzerne, kein Verständnis mehr für Geheimdienstaktionen, die zu meine Sicherheit durchgeführt werden, mich aber nur in meiner Freiheit einschränken.

Wir können uns auch nach diesen Wahlen wieder ganz sicher sein, dass es heißt: »Wir bitten um Verständnis dafür, dass nicht jedes vor den Wahlen gegebene Wahlversprechen auch eingehalten werden kann.«

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