Wenn Leute mich fragen, wie es sich im Wrangelkiez leben lässt, fühle ich mich leicht überfordert. Obwohl ich über Jahre in meiner Nachbarschaft Bilder male, komme ich nicht zu dem Punkt behaupten zu können: Ich kenne den Kiez mit seinen Bewohnern. Wenn ich so ein Ziel erreichen würde, könnte ich mit dem Malen im Kiez aufhören.
Da im Haus, in dem ich wohne eine Wohnung –mit „gehobener Ausstattung“- frei wurde, schaute ich im Internet allgemein nach Wohnungsanzeigen im Kiez nach. Hier wird die Lage –als Kiezbeschreibung- auf einem Punkt gebracht. Von diesen Immobilienmaklern und Hausbesitzern erfahre ich, dass wegen der „bunten Leute, ausreichender kulturellen Angebote, Bars (und) Restaurants“ im Wrangelkiez es „nie langweilig“ wird, da ich mich „mitten im Kreuzberger Leben“ befinde. Ein Makler outet sich mit der Bezeichnung „Falckensteinkiez“ als besonders informiert – oder erfinderisch. Sein zu vermietendesObjekt befindet sich in unmittelbarer Nähe zum kulturellen Zentrum von Kreuzberg“. Wo dieses Zentrum voller Kultur genau situiert ist, erfährt man aus der Lagebeschreibung leider nicht. Als Trost ist „die Mediaspree über die Oberbaumbrücke (in Friedrichshain) fußläufig zu erreichen“. Auf jedem Fall ist zu Fuß besser als im Autostau auf der Brücke zu stecken.Ein Altbaubesitzer weiß, dass der „belebte Wrangelkiez, mit seinen Cafés, Kneipen und Läden Kreuzberg-Charme verbreitet und neben dem Berliner Publikum auch Touristen anzieht.“ Andere laden „zumEntspannen oder auch zum sportlichen Joggen“ im „liebevoll in Stand gesetzten Görlitzer Park“ ein. „Das Spreewaldbad (steht) für diejenigen, die Lust auf eine Runde Schwimmen haben.“
Zusammengefasst bin ich erstaunt, wie viel an baulicher und kultureller Infrastruktur seitens international agierender Immobilienfirmen und Hausbesitzer in Anspruch genommen und dem Bewohner zur Verfügung gestellt werden. Diese Fremdleistungen werden dann über drastisch erhöhte Mietforderungen in Rechnung gestellt. Und auch: je mehr die Bewohner daran arbeiten ihren Kiez attraktiv zu gestalten, desto schwieriger wird es für sie im Kiez bleiben zu können. Besonders perfide ist der Verdacht, dass meine Bilder und Postkarten ungewollt zu dieser absurden Spirale beitragen. Getröstet könnte ich mich fühlen, da mein Vermieter mich in einer Email als „Schmarotzer“ bezeichnet hat. Die Ironie darin verschlägt mir den Atem.
William Wires, Aug. 2010