Die Ereignisse überschlagen sich zur Zeit. Erst Tunesien, nun Ägypten, in Syrien rumort es, sowie im Libanon, Algerien und Jordanien. Im Rest der arabischen Welt steckt auch das Potenzial, dass dort jederzeit ähnliche Bewegungen ans Tageslicht kommen könnten. Um die Lage richtig einzuschätzen, müsste ich mich wahrscheinlich erst mal in die Einöde zurückziehen und tonnenweise Material wälzen. Doch auch wenn ich nicht den vollen Überblick über die verschiedenen politischen Strömungen bekommen kann, kristallisiert sich bei allen Widerstandsformen als Parallele eines heraus, es wird auf moderne Kommunikationssysteme wie das Internet, mit ihren Plattformen, via Handy und Laptop zurückgegriffen, um eine Mobilisierung, Vernetzung und Verbreitung von Informationen zu erreichen.
Dies scheint vielleicht nicht ganz so neu für uns zu sein, aber der Großteil wird sie vorwiegend zur Verbreitung der neusten Tratsch und Klatsch Geschichten verwenden, um neue Kontakte zu knüpfen oder zur Ankündigung der neuesten Partyveranstaltung, jedoch nicht, um einen Umsturz eines Landes zu koordinieren. Doch genau darin sieht man wie machtvoll die Möglichkeiten der neuen Medien geworden sind und welche „Gefahren“ sie für andere, wie Regierungen jeglicher Couleur, darstellen können.
Die neuen Informationsplattformen ermöglichen es, in kürzester Zeit Ereignisse publik zu machen und dies so umfangreich und grenzüberschreitend, wie es kein anderes Medium derzeit bewerkstelligen kann. Ein weiterer Vorteil, die Informationen durchlaufen erst mal keinen Filter, über Redakteure oder Gremien die entscheiden was gesendet oder was gedruckt werden darf. Eine Zensur findet erst einmal nicht statt. Es gibt zwar somit ein neues Problem, nämlich das des Wahrheitsgehaltes, aber dieser ist bei den herkömmlichen Medien wie TV/Radio/Zeitungen auch gegeben, obwohl dort sicherlich mehr Wert auf die Überprüfung der Informationen gelegt wird, allein schon um die Glaubwürdigkeit und Seriosität zu behalten.
Doch für eine direkte Vernetzung und Verbreitung von aktuellen Geschehnissen scheinen sich Twitter und Co. hervorragend zu eignen. Sie sind direkt und zu jeder Zeit einsatzbereit und das in einer Geschwindigkeit, die teilweise Echtzeit Charakter hat. Die Entscheidung was nun wahr oder Unwahr ist, wird oft durch den Abgleich von verschiedenen Berichten entschieden und welche Quellen, zu welchem Thema etwas zu sagen haben, wie hoch die Übereinstimmungen von unterschiedlichen Quellen sind und wie sie sich in der Vergangenheit bewährt haben.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, die sooft beschworene Pressefreiheit. Sie ist inzwischen nicht selten ein Instrument der Herrschenden geworden, dort wo sie überhaupt noch als solche betitelt wird. Genau dieses Informationsmonopol der traditionellen Medien wird auf einmal angekratzt, nicht erst seit Wikileaks. Wir mussten selbst in Deutschland erkennen, dass die Möglichkeiten der Pressefreiheit, die noch ohne Zweifel vorhanden sind, nicht wirklich genutzt werden, wenn die Themen für die Regierenden zu brisant scheinen. Ein schönes Beispiel sind hier die Ereignisse vom 11.09.2001, bei der die versammelte deutsche Presse die offizielle Version von Bush und Co. fast ungefragt übernommen und jegliche anderslautenden Einschätzungen als Verschwörung vom Tisch gefegt haben. Bis heute werden die neuen Erkenntnisse einfach ignoriert und das Märchen von einem Haufen durchgeknallter Islamisten aufrechterhalten. Wer weiterreichende Informationen sucht, ist nicht selten auf das Internet und ausgewählte Printmedien angewiesen.
Auch bei den Aufständen in Tunesien und Ägypten, erkennen erst jetzt viele Menschen in Deutschland, welche Diktatoren die deutschen Regierungen und deren Verbündeten, seit Jahrzehnten hofiert haben und wie sie mit Geldern und politischen Handlungen aktiv die Unterdrückung der Bevölkerung unterstützt haben. Wieso wurde dies nicht früher thematisiert, gerade bei so großen Zeitspannen in denen solche Machenschaften stattfanden und finden. Wenn das freier Journalismus bedeutet, sollten wir auch in Deutschland aufpassen wer die Entscheidungsmacht besitzt und wer bestimmt welche Themen als relevant eingestuft werden. Wie oft wurden Kachelmann, Becker & Co ernsthaften Berichten vorgezogen. Nicht erst seit der Rechtspopulist und „Verwalter von jüdischen Vermächtnissen“ Roland Koch, massiv in die Pressefreiheit eingegriffen hat (durch den Rausschmiss vom Chefredakteur beim ZDF, Nikolaus Brender), wissen wir, dass längst Angriffe auf unliebsame Nachrichten betrieben werden und inzwischen selbst die Verfassung nicht mehr als Hürde betrachtet wird.
Die Vorhaben vom Bundestrojaner über Vorratsdatenspeicherung, sind die Vorboten auf eine Übernahme und Kanalisierung, nicht nur der Medien, von Politik und ihren Drahtziehern im Hintergrund. Schäuble ist vielleicht Paranoid, aber er ist nicht dumm und er weiß ganz genau, dass der Feind nicht nur vor der Tür steht, sondern auch im eigenen Staat zu einer Gefahr werden kann. Nur ich befürchte, dass sich unsere Feindbilder eklatant unterscheiden. Was in Ägypten und anderswo gerade passiert, sind die ersten Anzeichen. Über kurz oder lang, könnte auch bei uns es wiederzu brodeln beginnen. Immer wenn eine kleine elitäre Masse glaubt, den Reichtum unter sich aufteilen zu können und der Rest der Gesellschaft entrechtet in Armut darben lässt, gibt es nun mal solche Strömungen.
Die ´Fetten Jahre´ sind auch in Deutschland vorbei, auch wenn wir gerade einen sogenannten Aufschwung haben sollen. Dies sollte uns nicht den Blick vernebeln, das neue Global Player auf der Spielfläche erschienen sind. China schickt sich an, die neue Nummer 1 auf der Welt zu werden, mit Wachstumsraten bei denen wir hier ins schwärmen kommen und die komplette Wirtschafts- und Polit-Prominenz den Bückling macht, nur um beim verteilen der Kuchenstücke, die China zu vergeben hat, nicht zu kurz zu kommen. Scheiß auf die Menschenrechte! Sie kaufen inzwischen soviel Staatsanleihen auch in Amerika, das ohne sie bald nichts mehr gehen wird.
Wie wird die USA reagieren, wenn sie von der Spitzenposition verdrängt wird? Was ist mit Russland, Indien und Brasilien, die alten Schwellenländer die inzwischen vor Kraft nur so strotzen und auch ihren Teil vom Kuchen haben wollen? Sei es politisch wie wirtschaftlich. Eines haben alle gemeinsam, einen Heißhunger auf die letzten Rohstoffreserven. Alles parallel begleitet vom Klimawandel, der voll im Gange ist. Da dieser seit Jahrzehnten ignoriert wird, können wir uns auf Kosten freuen, die mit Milliarden nicht mehr auskommen werden, vom menschlichen Leid einmal ganz abgesehen. Diese Verteilungskämpfe werden sich immer weiter verstärken und an Intensität zunehmen. Einerseits zwischen einzelnen Ländern oder den direkten Eingriff in sie, wie z. B. in Afghanistan, Irak, um nur zwei zu nennen, aber auch innerhalb von den Ländern die die Rohstoffe für sich in Anspruch nehmen. Da sind wir wieder am springenden Punkt.
Europa und die USA lebten bisher sehr gut, leider sehr viel oder zu meist, auch auf Kosten anderer. Wir können also nicht auf Mitleid hoffen, wenn sich nun die Machtverhältnisse zu unseren „Ungunsten“ verschieben. Wo weniger zu verteilen ist, wird die Armut steigen und somit auch die sozialen Unruhen. Wenn wir uns nur mal vergegenwärtigen, dass in den letzten 10 Jahren, nur eine Gruppe in der Deutschen Gesellschaft vom Aufschwung profitiert hat , nämlich die Reichsten 10%, dabei jedoch 90% leer ausgegangen sind und bei den Vermögenswerten sieht es auch nicht besser aus. Dies eingebettet in einer sozialen Marktwirtschaft, mit einer demokratischen Struktur, die im Vergleich zu anderen Ländern mit verhältnismäßig hohen Reichtum ausgestattet ist, dann können wir uns hoffentlich ausmalen was passiert, wenn sich die Lage erst mal zuspitzt.
Obwohl genügend zur Verfügung stünde, wird nicht umverteilt. Besser gesagt, nur in eine Richtung, von unten nach oben. Die Zahlen vom DIW (Deutsche Institut für Wirtschaft) sprechen da eine eindeutige Sprache. Der Zusammenbruch der Mittelschicht findet seit Jahren statt und auch jetzt sehen wir tagtäglich, wie die Politik darauf reagiert. Das erste was gestrichen wird, ist das Soziale, vor der Marktwirtschaft. Wer sich dagegen auflehnt, wird zum Feind im eigenen Land und dieser muss bekämpft werden. Genau das beabsichtigen sie mit ihren Eingriffen in die Privatsphäre. Sei es die Vorratsdatenspeicherung, die Überwachung von öffentlichen Plätzen und Straßen, über TollCollect, die neuen Ausweise und vor allem die Überwachung des Internets.
Sie haben nicht wirklich Angst vor ein paar durchgeknallten Terroristen, sie sind nur der Aufhänger für den Aufbau eines Überwachungssystems (I.D.N.D.E.C.T ist das neue Zauberwort, eigenständiges Thema). Der Feind sind die, die sich auflehnen, beim Umbau des Staates. Europa ist fast unbemerkt zu einer Festung geworden, ab und zu werden noch ein paar halbtote „Neger“ an die südlichen Badestrände gespült, dass war es dann aber auch. Nun heißt es die Massen, die hier leben zu kontrollieren. Der neue Vorschlag, alle zu speichern die ins Ausland fliegen, spricht hier genau ihre Sprache (findet in der USA schon statt).
Kommen wir wieder auf die Wichtigkeit der neuen Medien. Mubarak blockierte kurz das komplette Internet und die Handynetze Wie niedlich muss man sagen. Ein Despot der nicht mit der Zeit geht, denn dies schürt nur noch mehr Wut und Widerstand. Auch wenn es erst mal zur Irritation führen kann, aber eine Lösung stellt diese Unterbrechung aber dar. Langfristig schon gar nicht. Die erhoffte Befriedung wurde dadurch nicht erreicht. Es hatte eher die Wirkung, dass man sich nun vor Ort (also auf der Straße) treffen musste und eher das forciert, was man verhindern wollte.
Jedoch die Kontrolle über sie zu bekommen, sie auszuwerten, gesellschaftliche Gruppen schon im Vorfeld zu katalogisieren und sie gezielt zu durchleuchten, scheint da höhere Erfolgsaussichten zu haben. Dies geht aber nicht mehr, wenn alles schon im Aufruhr ist. Solche Unternehmungen müssen präventiv geführt werden. Deshalb wollten/wollen die Schillys/Schäubles etc., den Zugriff auf die Privatrechner. Terroristen werden sie dort nicht finden, denn die haben ein unregistriertes Handy und nutzen bestimmt nicht ihren Computer zu Hause, um die neusten Anschlagspläne zu verschicken. Nein, DU bist gemeint! Gut zu wissen wer auf die Stuttgart 21 Demos geht und wie viel Rückhalt es in welchen gesellschaftlichen Gruppen, für die eine oder andere politische Aktion gibt. Wer stellt sich gegen die Castortransporte, wer holt sich welche Information aus dem Netz, welche Schwachstellen hat X oder Ybeziehungsweise welches Laster, wer surft auf Sexseiten, wer ist krank, wer betrügt seine Frau oder umgekehrt.
Scheinbar unwichtige Information können zu gegebener Zeit wichtig werden. Ich bin paranoid, kann sein, aber schauen wir uns heute einfach mal an, was schon gespeichert wird. Wieso wird bei jedem Anruf den du tätigst auch deine Position mitgespeichert. Komisch! Wieso hat TollCollect nicht nur die Mautgebühren der LKWs abgescannt, sondern auch die der Pkws gleich mit, ausversehen wurde gesagt. Komisch! Wieso gibt es Vorschläge bei jedem Baby gleich den genetischen Fingerabdruck mit zu registrieren, schon alles komisch. Und die Liste hat noch nicht einmal angefangen. Dann gibt es noch den großen Bereich, den sie gratis oben drauf kriegen. Sei es über Google, Facebook, StudiVz und so weiter. Bedenkenlos werden intimste Geheimnisse, politische Gesinnungen, Querverbindungen offengelegt. Jede Möglichkeit besitzt auch ihr Gegenteil. Wachsamkeit kann da ein guter Ratgeber sein.
Auch wenn bestimmte Sachen zu weit greifen, es wird etwas vorbereitet, das wenn sich die politischen Verhältnisse einmal verändern, mit Kusshand eingesetzt werden kann. Wer die Sammelwut der Stasi kennt, kann sich ausmalen wie leicht es heute geworden ist (und wer ist wirklich so naiv zu glauben, dass dies nur auf die Stasi beschränkt war) diesen Trieb mit technischen Weiterentwicklungen zu stillen, Menschen zu überwachen und dies auch noch mit wesentlich geringerem personellen Aufwand. Obwohl, wer sich den neuen BkA Bunker in Berlin angeschaut hat, bekommt schon einen Eindruck, das da etwas großes entstehen soll. Aber wieso sollten wir Bedenken haben, wird doch alles nur für UNS gemacht. Genau deswegen habe ich ja Bedenken.
Zum Schluss möchte ich noch gerne eine Anmerkung machen. Wir sind alle so in unserem Denken gefangen, dass wir bestimmte Abläufe als gegeben hinnehmen. Alles was ich oben beschrieben habe, ist eine Möglichkeit von vielen. Wie schnell scheinbar unüberwindliche Strukturen verschwinden können, haben wir bei dem Fall der Mauer gesehen. Und wer hätte vor ein paar Monaten gedacht, dass auf einmal der arabische Raum die Revolution ausruft. Selbst beim Schreiben dieses Artikels wurde ich von den Ereignissen überrollt!
Mubarak ist zurückgetreten, gerade mal 18 Tage hat es gedauert!!! Meine Solidarität ist mit den Ägyptern und voller Bewunderung für das Erreichte!!
Alles liegt in unseren Händen, zugreifen müssen wir selbst! Daher möchte ich noch auf eine Bewegung, Idee oder wie man sie nennen möchte hinweisen – „Cradle to Cradle“, die ich kurz in dieser Ausgabe, auf Seite 10, vorstelle.
Geschrieben von bookfield