Mit dem Hintergedanken, mir auch endlich mal das Maul über ein von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommenes und von den Medien (zumeist negativ) kritisiertes Buch zu zerreißen, bestellte ich mir für eine Rezension das Buch »Neukölln ist überall«, von Heinz Buschkowsky, erschienen im Ullstein Verlag. Als ich das Paket mit dem vermeintlich brisanten Inhalt vom Postboten überreicht bekam, machte ich mich sogleich daran den Inhalt zu sezieren.
Nun, was soll ich euch schreiben. Ich fand nichts, absolut rein gar nichts, was irgendeinen Anlass geben könnte, dieses Buch als eine Ansammlung von Hirngespinsten, Unwahrheiten oder gar rassistischen Äußerungen zu bezeichnen. All denen, die sich das Maul zerrissen haben, kann ich nur unterstellen, sie haben das Buch nicht oder zumindest nicht aufmerksam genug gelesen oder sie leben völlig an der Realität vorbei und kennen den Bezirk Neukölln nur vom Hörensagen.
Das einzige Manko an diesem Buch, und darauf sind die meisten Kritiker angesprungen – vermutlich, weil es nichts weiter zu kritisieren gab – ist, dass Buschkowsky in seinem Bericht zur Lage der Nation eine Aufzählung vermissen lässt, die erfolgreiche Unternehmen darzustellen, gegründet von »n.d.H.-Bürgern und -Bürgerinnen«. Lediglich fünf Zeilen (S. 357) in dem 381 Seiten starken Buch widmet er diesem Thema.
Im Kern berichtet Buschkowsky über die Missstände in den Familien und den Bildungseinrichtungen sowie über die Hilflosigkeit der verschiedensten Gremien gegenüber familiären Strukturen und Traditionen.
Zunächst jedoch macht er Werbung für sein Neukölln. Er verweist auf erfolgreiche, weltweit anerkannten Unternehmen und ihre technischen Innovationen. Er zeigt geschichtliche, kulturelle und gesellschaftliche Höhepunkte seines Bezirks auf. Und er ist voll des Lobes über die Menschen, die diese Umstände zu schätzen wissen (ab S. 17) und – trotz der Probleme vor Ort – ihrer Heimat nicht den Rücken kehren.
Er schreibt über das Für und Wider von staatlichen Leistungen und er hält uns das wahre geistige Niveau (S. 303) sowie die wahre Gesinnung (S. 371) unserer Regierungselite vor Augen. Im Anschluss geht er dazu über aufzuzeigen, welche Erfahrungen er bei seinen Besuchen in anderen europäischen Städten gemacht hat, insbesondere bezüglich deren Umgang mit Schulschwänzern, Arbeitsverweigerern und intergrations- und anpassungsunwilligen Bürgerinnen und Bürgern.
Für die schulpflichtige Jugend ist ebenfalls der eine oder andere brauchbare Satz in dem Buch enthalten. Der für die SchülerInnen wohl ›nützlichste‹ Satz lautet: »Schule ist angeordnete Freiheitsberaubung« (S. 344). Mit dem Vermerk, dass dieses Zitat von Bürgermeister Buschkowsky persönlich stammt (auch wenn aus dem Zusammenhang gerissen), merke ich nicht ganz ernst gemeint an, dass einige SchülerInnen versuchen könnten, die Schulpflicht als gegenstandslos einzustufen.
Darüber hinaus hinterfragt Buschkowsky die Gerechtigkeit des Staates gegenüber »bio-Deutschen«, die bei jedem nicht einhalten der staatlichen Vorgaben – sei es beim Jobcenter oder im Straßenverkehr – mit Sanktionen zu rechnen haben, während bei integrations- und/oder lernunwilligen sowie kriminellen Personen jede Missachtung der Vorgaben folgenlos geduldet wird (S. 358). Diesbezüglich zitiert er einen Jugendrichter, der resigniert fragt: »Wie verrückt muss eine Gesellschaft sein, die noch Kindergeld für Kinder zahlt, die andere halb totgeschlagen haben und im Knast sitzen?« (S. 364).
Es gibt endlose Anmerkungen, die ich mir beim Lesen schriftlich festgehalten habe, um sie in diesen Bericht kommentiert mit einfließen zu lassen. Jedoch würde eine Behandlung dieser Kommentare den Rahmen sprengen, so dass ich nur punktuell und kurz auf einige Stellen in dem Buch eingehe.
In einigen, von ihm beschriebenen Fällen war ich nicht konform mit seinen Ansichten – vermutlich weil mir das Hintergrundwissen und seine Erfahrungswerte fehlen – in den meisten Fällen jedoch glaube ich den von ihm niedergeschriebenen Angaben. Zumal Buschkowsky sich auch auf die Erfahrungen von Personen bezieht, beziehungsweise diese in seinem Werk zu Wort kommen lässt, die in vorderster Front gegen die von ihm aufgeführten Probleme ankämpfen oder es zumindest versuchen. Darunter sind Polizisten, LehrerInnen, LeiterInnen von Bildungseinrichtungen sowie Amtskollegen aus dem Ausland, mit denen er im Erfahrungsaustausch stand.
Darüber hinaus lässt er seine Erfahrungen aus einem Treffen mit Thilo Sarrazin mit in das Buch einfließen.
Am Ende kann ich die Rezension mit einem Zitat aus dem Buch abschließen, welches den gesamten niedergeschriebenen Inhalt kurz und knapp an einer Frage fest macht: »Das Modell der Albert-Schweitzer Schule als Ganztagsgymnasium mit spezieller Sprachförderung kostet jährlich 220.000 Euro mehr als die übliche Schulform. Das ist der Gegenwert von fünf Jugendknastplätzen. Die Gesellschaft kann sich also entscheiden, ob sie fünf Knackis ernähren oder 690 Gymnasiasten zum Abitur führen will.«.
Fazit
Alle Menschen, die in Neukölln leben beziehungsweise die mit offenen Augen und Ohren durch das Leben gehen, kennen die in dem Buch beschriebenen Probleme oder haben sie im schlimmsten Fall selbst erlebt und benötigen deshalb die darin enthaltenen Informationen nicht wirklich. Für alle anderen ist »Neukölln ist überall« ein Werk, welches sich lohnt zu lesen, um zu begreifen, wie einige, sich in der Unterzahl befindliche Mitmenschen es schaffen, partiell das gesamte Wertegefüge des Systems ins Wanken, ja teilweise sogar zum Einsturz zu bringen.
»Neukölln ist überall«
Heinz Buschkowsky
ISBN 978-3-550-08011-1
Ullstein Verlag
Preis 19,99 Euro
www.ullstein.de