Mit meiner Frau und meiner Tochter, besuchte ich neulich meine Familie, die inzwischen in Florida wohnt. Doch vor den wärmeren Gefilden Floridas führte uns unsere Reise nach Piermont (N.Y.) am Hudson River (ca. 2500 Einwohner).
Von dieser Reiseetappe möchte ich berichten. Piermont erscheint städtebaulich weitgehend wie es vor einem Jahrhundert als Arbeiterstädtchen war. Abgesehen davon, dass nachdem es vor einigen Jahren als Geheimtipp entdeckt wurde, ein Prozess der Gentrifizierung einsetzte. Die auf der Landzunge situierte Papierfabrik wurde in Geschäfte unterteilt und dahinter wurden nicht besonders ästhetische, aber teure Condominiums (Apartment-häuser) errichtet, die immerhin preiswerter als die Wohnungen in New York City sind. Die alte Bebauung der Main Street mit ihren Sandstein-, Backstein- und Holzhäusern ist in ihrem dörflichen Charakter noch erhalten. Erstaunlicherweise gibt’s hier keine Franchise wie Starbucks. Im nahe gelegenen Nyack, besuchten wir das Geburtshaus von Edward Hopper, jetzt The Hopper House Art Center, wo regelmäßig Kunstausstellungen veranstaltet werden. Der Community Market in Piermont, wo früher Alteingesessene Tratsch und Neuigkeiten austauschten, wurde vom jetzigen koreanischen Besitzer nach hiesiger Meinung entseelt. Als meine 2-jährige Tochter auf einen Sack Katzenfutter gedeutet hat, eilte sogleich der Ladeninhaber herbei und fragte, ob ich diesen – für meine Tochter? – kaufen will. Glücklicherweise blieb uns noch eine Delikatesse, Canzona’s, am anderen Ende vom Dorf, wo sich Einheimische ab sechs Uhr früh ihren Kaffee in Papierbechern holen und anhand des aktuellen Schneesturms über die von gefallenen Bäumen und Leitungsmasten gesperrten Ausfahrtstraßen berichten konnten, und wo wir – eingeschneit – dicke Sandwiches preiswert kaufen konnten. Daher kann man sagen, dass Piermont weder ein historisches Freiluftmuseum noch eine vollständig kommerzielle Touristenmeile geworden ist. Wenn ich diese Entwicklung mit der des Wrangelkiezes vergleiche, bin ich noch nicht sicher wie es in fünf oder zehn Jahren aussehen könnte. Hier – im Wrangelkiez – ist der größte Zuwachs bei der Gastronomie zu sehen. Wenn man nur eine Straße entlang spaziert und von jedem Cafè eine Latte zu sich nimmt, würde nicht nur das Portemonnaie erheblich erleichtert, auch würde man einen Koffein-Schock erleiden. Auf der anderen Seite, wie sollte sommers der Touristenstrom bedient werden?
Ausländische Touristen trifft man in Piermont und Umgebung selten; man trifft aber spanisch sprechende Haushaltgehilfen an der Bushaltestelle, wovon alle südwärts fahrenden Busse durch New Jersey und nach New York City in unter eine Stunde verkehren. Die Touristen bleiben aber meistens lieber in New York City und sind mit ihrem Amerikabild dann zufrieden. Unsere Gastgeberin, Carola, eine gebürtige Holländerin, hat ihr Bed and Breakfast (http://www.riverviewbnb.com/) in einem Backsteingebäude aus dem 18. Jahrhundert respektvoll mit „old world European charm“ renoviert. Während des von uns erlebten Schneesturmes fiel ein Baum über den direkt angrenzenden Sparkill Bach auf unser Wohnzimmerdach, richtete aber nur minimalen Schaden an. Anschließend sind wir in die wärmere Klimazone von Florida geflogen.
William Wires, März 2010