StadtGestalten Die Poesie der Differenzsequenz – Analoge Klangsynthese goes Pulsweitenmodulation

Nicht unweit des Görlitzer Parkes befindet sich in der Forster Straße Werkstatt und Wohnung des in jeder Hinsicht »Vielfachinstrumentalisten« Christian Günther. Der Blick auf seine Website ist verwirrend, der Einblick in seine Räumlichkeiten nicht minder.

Es ist ein kalter Wintermorgen, an dem ich sie zum ersten Mal betrete, – und während der Gastgeber einen Tee bereitet, darf ich mich auf der kleinen Holzbank neben dem knisternden, gusseisernen Werkstattofen platzieren, der die kleine Küche schnell erwärmt. Hier entstehen zwischen Holzapfel und Magnolien, Winterlandschaften und Hundeportraits »Mandalamat« und »Scratchomat«, »Ring Modulator Oscillator« und »Percussionist 1«. Hier konstruiert und baut er »Music Machines« und Instrumente, hier malt und zeichnet er.

Den gelernten Siebdrucker mit einer Umschulung zum Elektromechaniker zog es Ende der Achtziger von Nürnberg nach Berlin, – nicht nur, um dem Dienst beim Militär zu entkommen. Christian Günther wollte malen. »Aber Malerei war zu dieser Zeit out. Videoinstallationen, Konzeptkunst waren angesagt.« Und so orientierte er sich um, und baute, unter dem Eindruck von Bands wie »Einstürzende Neubauten« und »Kraftwerk« Effektgeräte, die er seither auch für eigene Konzerte und Klanginstallationen nutzt. Bislang arbeitet er bevorzugt mit analogen elektronischen und elektromechanischen Systemen, um neue Sounds zu kreieren und, wie es so wunderbar auf seiner Website heisst: »to reach unlistened areas of music«.

Der Blick in seine »Schaltzentrale«, die gleichzeitig auch Schlafplatz ist, vervollständigt mein Bild von ihm. Die auf Tischen und Regalbrettern dicht gestapelten Geräte, an die wahlweise z.B. Keyboard, Drums oder Gitarre angeschlossen werden können, wirken wie Maschinenraum und Funkzentrale eines U-Boots, während einen Moment zuvor noch der Dielenboden in der karg bestückten Küche wie ein Treibholzteppich aussah, die eingebaute, leicht erhöhte Dusche wie ein nicht mehr wirklich vertrauenserweckender Lift Richtung Meeresoberfläche, die an der Decke des Schiffrumpfes schon deutlich Spuren hinterlassen hat.

Ich sehe Metallgehäuse, mal gross, mal klein, mit einer Unmenge an Dreh- und Kippschaltern, Knöpfen, kleinen Lämpchen, Kabeln, Einsteckbuchsen, entdecke den umgebauten Plattenspieler »Scratchomat«, den »Percussionist« verkabelt mit zwei Drums. Er präsentiert mir »XR1-E« , den Ring Modulator Oscillator – »easy to operate with many control options«. Ich nehme mir vor, mich ernsthaft mit Oszillation, Hüllkurven und Amplitudenmodulation zu befassen, durch mein Gehirn schwirren Begriffe wir »kreativer Impact« und »emotionale Streuelipsen«, als Günther einen rechteckigen, roten Kasten vor mir aufbaut. »Das ist ein Theremin.«

Spätestens jetzt springt er über. Der Funke. Was vorher noch eine irritierende Fülle an Möglichkeiten war, bündelt sich hier. Der kleine rote Kasten lebt! Begeistert führt mein Herz eine Sinusschwingung aus, als das Theremin, allein durch die Bewegung meiner Hände, Arme beginnt, zu singen! Ich erinnere mich, dieses mysteriös anmutende Instrument zum ersten Mal bei einem Vinicio Capossela Konzert im Mai 2012 gesehen und gehört zu haben. Angestrengt suchte ich nach einer Saite, einem Bogen, einem Irgendetwas, das diese ungwöhnlichen Klänge hervorbrachte. Aber da war nichts. Zwei Antennen – und die tanzenden Arme und Hände des Musikers. Mehr nicht. Und jetzt, hier, produziere ich diesen elektronischen Gesang, der mal an eine singende Säge, mal an eine zerbrechliche Frauenstimme erinnert. Ich höre Walgesänge, undefinierbare Klänge, wie durch dichten Nebel über ruhiger See, vielleicht ein Echolot…

Als das Theremin erstmals im Jahre 1919 von seinem Erfinder Lew Termen vorgestellt wurde, fielen Begriffe wie »Geistermusik«, »Ätherwellengeige«. Gespielt wird es allein durch den sich verändernden Abstand beider Hände zu den zwei Antennen, wobei die eine für die Tonhöhe, die andere für die Lautstärke zuständig ist. »Die Annäherung einer Hand verändert die Schwebungsfrequenz«, heisst es.

Ich tauche nur ungern aus dieser sphärischen Klangwelt wieder auf, – aber die Phantasiereise geht weiter, als Günther den »Percussionist 1« aktiviert, die kleinen Drums bedient, – und den Sound in unendlichen Variationen verändert. Ein kleiner Film läuft vor mir ab, über die Trommelfelle trippeln Tom und Jerry, Kniee quietschen. Eine Tür schlägt zu, der Wind zerrt an einem Fensterladen, irgendjemand geht vorbei, eine leere Flasche fällt um…

Ich lasse meinen Blick über all diese kleinen und großen, manchmal museal anmutenden Apparate schweifen und sehe ein ganzes Universum an Möglichkeiten. Das ist ein Paradies für experimentierfreudige Musiker, Hörspiel- und Kopfkinomacher, Bilderseher und Phantasiebegabte. Nur wenige Kreative, gleichgültig in welchem künstlerischen Bereich sie tätig sind, schwimmen oben. Ich bin in diesem Fall auf Tauchstation gegangen und habe einen Schatz gefunden. Als ich gehe, springt mein Puls im Dreieck – bei konstant erhöhter Frequenz. Vielleicht schwebe ich auch.

Infos und Hörbeispiele unter: www.mandalamat.de

Geschrieben von Stina Rust)

Bild Text: Das Instrument Bontempi (Foto: mandalamat.de)

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