Manchmal weiß ich nicht genau, warum ich ein bestimmtes Motiv auswähle. Es könnte eine Komposition, die Farben oder ein aktuelles Ereignis sein. Es kommt auch vor, dass ein Motiv, das ich mal abgelehnt hatte, mein Interesse zu einem späteren Zeitpunkt weckt.
In der Literatur über Edward Hopper wird seine ausweichende Haltung gegenüber seinen eigenen Bildern beschrieben: „I am hoping that ideas less easy to define have, perhaps, crept in also (Ich hoffe, dass Ideen, die nicht so leicht zu definieren sind, vielleicht, auch eingesickert sind).“ Hopper verlässt sich auf seine subjektive „sensations“, als Nachempfinden seines inneren Lebens. Die spezifischen Orte, die er malte, sind von sekundärem Interesse.
Bei mir ist es eher umgekehrt. Mein Ausgangspunkt ist soziologischer Natur, mehr am Mikrokosmos Nachbarschaft orientiert, wo Menschen ihren Alltag gestalten und erleben. Trotzdem strebe ich keine umfassende Bestandsaufnahme bestimmter Stadtteile an. Ein subjektiver Entscheidungswille – abgeleitet von meiner persönlichen Erfahrung – ist in meinem Oeuvre offensichtlich. Mit meinem Bezug zum Realismus stelle ich als Maler kein künstliches Mysterium her, das nur wenigen „eingeweihten“ Betrachtern zugänglich ist. Auf einer kommunikativen Ebene freuen sich viele Betrachter über die Erkennbarkeit, die ihren persönlichen Genius loci bestätigt. Andere Betrachter erkennen in manchen Bildern eine sozio-kritische Haltung.
Während des Malens verändern sich meine Absichten. Es entstehen oft neue, zusätzliche Inhalte. Nach meinem Ermessen lasse ich mich ein auf die Betrachtungen von Passanten und auf das, was ich selber entdecke, sei es das Motiv selbst oder das Bild, an dem ich gerade arbeite. Diese Arbeitsweise ist essentiell für die Entstehung meiner vor Ort gemalten Bilder. Ich reagiere darauf, in dem ich etwas weglasse oder ein Detail betone. Auch im Nachhinein – wenn ich Abstand zu einem Bild gewonnen habe – entdecke ich neue inhaltliche Zusammenhänge. Es ist äußerst selten, dass ich ein Bild im Atelier weiter bearbeite, weil ich eine Authentizität des Erlebten mit dem Vorortmalen gewährleisten möchte.
Beispiel „Am Spreeufer: Pfuelstraße“: Im Bild ist die O2 Arena mit dem großen monströsen Werbeträger im Hintergrund zu sehen, vorne angeschnitten ist das ehemalige Speichergebäude mit privater „Spreeterrasse“. Im gleichen Zeitraum sind mir auf der Straße zwei Menschen begegnet, die mir über ihre persönliche Beziehung zum Haus Pfuelstraße 5 erzählt haben: Einer wohnte früher dort in einer Rehabilitations-WG, der andere wohnt jetzt im Haus nach der Sanierung. Aktuell werden die Räume des Hauses mit vergitterten Fenstern als Filmlocation für €1500 pro Tag angeboten. Die unruhige Spree deutet auf die bevorstehenden baulichen Änderungen an ihren Ufern hin; die vergitterten Fenster und die Spreeterrasse verdeutlichen die daraus resultierenden wirtschaftlichen Trennungen in der Gesellschaft.
Es gibt Orte, die nach Präsenz und Aufmerksamkeit durch persönliche und teils eigenwillige Gestaltung und Farbgebung streben. Der kleine Imbiss „Burgersteig“ mit den intensiven komplementären Farben, Rot und Grün, in unterschiedlichen Tönungen ist mir aufgefallen. Mein Bild vom Laden habe ich glücklicherweise gemalt bevor das ursprüngliche Konzept durch die selbstgefälligen Piktogramm-artigen Darstellungen von den im Laden offerierten Speisen verunstaltet und geschwächt wurde.
In dem Bild „Berghain Areal“ sagt die äußere Erscheinung, die ich als Motiv ausgewählt habe, wenig über die lautstarken Feste, die dort allabendlich stattfinden. Das Bild entwickelte sich inhaltlich erst über drei ruhige Maltage. Durch meine Beobachtungen überkam mich allmählich das Gefühl in einer Laubenkolonie zu sein. Die Szenerie ist friedlich, die Mitarbeiter sind untereinander und mit mir freundlich.
PS. Ich heiße alle Willkommen zu meiner Ausstellung am ersten Septemberwochenende in der „Kapelle am Urban“ im Rahmen von „Art Kreuzberg“, Atelier und Galerie Rundgang im Bergmannkiez und Umgebung. Weitere Informationen auf meiner Website und auf www.artkreuzberg.de.
William Wires, Juli 2011