Der Spiegel Fall Claas Relotius

Kurz vor den Weihnachtsfeierlichkeiten schlägt der Spiegel Fall Claas Relotius hohe Wellen in der Medienlandschaft. Der 33-Jährige Journalist hatte mit zum Teil verfälschten Berichten und Artikeln seinen Arbeitgeber und seine LeserInnen an der Nase herumgeführt. Mal waren es einzelne Details die er frei erfand oder in ihrer Darstellung etwas leserfreundlicher gestaltete, mal waren es Situationen, die es nicht gab. Dann wiederum gab es Personen, die Relotius zitierte, die ihn wiederum aber gar nicht kannten.

Insgesamt hat Relotius über sechzig Veröffentlichungen bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin zu verantworten. Doch nicht nur der Spiegel muss sich Gedanken um die Wahrhaftigkeit seiner Berichte und Artikel machen, auch andere Redaktionen sind damit beschäftigt ihre Archive nach Artikeln und Berichten von Relotius zu durchsuchen und gefundenes auf Plausibilität hin zu überprüfen. Selbstverständlich hat Relotius auch einwandfrei recherchiertes Material abgeliefert. Doch dies bleibt in so einem Fall unbeachtet.

Mittlerweile wurden ihm seine Auszeichnungen und Preise aberkannt und er musste sie zurück geben. Rechtlich lässt er sich von einem Anwalt vertreten. Die weiteren Eckdaten sind wohl jedem bekannt – davon gehe ich an diesen Stelle einmal aus. Somit fokussiert sich dieser Beitrag viel mehr auf das Problem und dessen Lösung im Fall Relotius, als auf die Person an sich.

Wie konnte das geschehen?

„Wie konnte das geschehen?“, ist in solchen Fällen die übliche Frage. Bei genauerer Betrachtung der Medienlandschaft wird jedoch ganz schnell klar, wie „das geschehen konnte“. Es ist der Druck interessante Berichte zu liefern. Jeden Morgen hoffen Journalisten auf ein Thema oder Ereignis, das ihnen den Tag rettet. Ein Thema, das zur redaktionellen Ausrichtung passt und die LeserInnen interessiert.

Eine Recherche muss ein Ergebnis, also einen Bericht hervorbringen. Man muss sich nicht nur mit dem Thema und den Inhalten auf dem Markt behaupten, sondern auch gegen die Konkurrenz der Online-Medien, Fernsehanstalten, Radiosender und schlussendlich auch die der anderen Druckerzeugnisse durchsetzen.

Einher mit der Jagd nach dem Thema, kommt der Zeitdruck, dem die Journalisten insbesondere bei der Tagespresse ausgesetzt sind. Jeden Tag muss die vorgegebene Spaltenanzahl gefüllt werden. Vorzugsweise mit interessanten und lesenswerten Themen. Wenn am Abend nicht genug Artikel und Berichte zusammen gekommen sind, wird der freie Platz mit Meldungen von Nachrichtenagenturen belegt.

Immer wenn also dpa, AFP, AP oder ein anderes Kürzel einer Presseagentur genannt wird, kann davon ausgegangen werden, das nicht ausreichend eigenes Material vorhanden war oder eine erwarteter Bericht ausgefallen ist.

Genau darin liegt das Problem für Magazine wie den Spiegel. Obwohl bei einer wöchentlichen Erscheinungsweise davon ausgegangen werden könnte, dass dieser Zeitraum ausreicht, umfangreiche Themen auszuarbeiten, negiert diesen Umstand ein weiterer. Der Umfang der Beiträge. Dieser liegt bei Titelthemen in Bild und Schrift um ein vielfaches Höher, als bei der Tagespresse. Somit gestaltet sich der Druck aufgrund der geringeren Erscheinungsweise nicht minder einen absatzfördernden Bericht abzuliefern.

Die Folgen

Das wahre Desaster für den Spiegel liegt in der Tatsache, dass die Leserschaft aufgrund der Erscheinungsweise von einer überdurchschnittlichen Recherche ausgeht. Wissentlich frei erfundene Inhalte zerstören das Vertrauen erheblich. Zumal es nicht der erste Fall von mangelnder Recherche in der Redaktion ist.

Respekt gilt dem Spiegel, der offen mit dem Vorfall umgeht. Doch was bleibt auch anderes übrig. Eine Aufdeckung durch investigative Recherche von externen Journalisten hätte den Fall in einem noch dubioseren Licht dastehen lassen, als er bislang schon ist.

Der Fall Relotius ist jedoch auch eine Bestätigung für jene, die das Wort Lügenpresse bei jedem noch so kleinen Verdacht der Unstimmigkeit verwenden. Die aufgedeckten Fall wird ganz gewiss auch kein Einzelfall sein und bleiben. Gewisse Boulevardblätter sind zudem bekannt für ihre oberflächliche, phantasievolle und sensationshaschende Berichterstattung.

Auch wenn in der Vergangenheit immer wieder mal kuriose Falschmeldungen gab. Da wären zum Beispiel die Hitler-Tagebücher, die das Nachrichtenmagazin Stern 1983 veröffentlichte und mit ihnen auf Fälschungen von Konrad Kujau herein gefallen war. Die großen Skandale sind ausgeblieben und unter dem Strich kann man im Allgemeinen, von der politische beeinflussten Formulierung einiger Journalisten abgesehen, von einer professionellen Recherche ausgehen.

Dass bei wissenschaftlichen Medien anders mit der Recherche und der Absicherung gegenüber Inhalten umgegangen wird, zeigen die Erfahrungen von Eva Wolfangel. Unter nachstehendem Link beschreibt die Journalisten die Anforderungen Wissenschaftsmagazinen und rechtfertigt die strenge Genauigkeit ihrer Auftraggeber an einem Beispiel: https://ewo.name/termine/418-wie-wir-journalistinnen-unsere-fakten-pruefen?fbclid=IwAR18a_GsGFZC5PnGA0nI2O1ez058exx-z2CokIAhkncFgvle5mEfA6IPRYM

Ungeachtet dessen, ist wohl unbestritten, dass die von Interessen behafteten Online-Portale bislang weitaus mehr Falschmeldungen und Fake News verbreitet haben, als die zumeist gewissenhaft arbeitenden Medien.

Die Lösung?

Für die Zukunft muss eine allumfassende Umstrukturierung stattfinden – bei den LeserInnen und den HerausgeberInnen. Die LeserInnen erwarten eine objektive und ehrliche Berichterstattung. Die HerausgeberInnen beziehungsweise die Journalisten, UrheberInnen wie auch immer, müssen für diese Dienstleistung gerecht entlohnt werden.

Die Bezahl modelle der Online-Medien haben sich bislang nicht etabliert. Die Handhabung ist noch zu umständlich und es fehlt an einem Marktführer. Es wird sich zeigen, welche etablierten Medien sich in Zukunft durch Neuausrichtung des Geschäftsmodells dem Mediensterben entziehen werden.

Zudem werden die Leserinnen und Leser entscheiden, welchem Medium sie ihr Vertrauen schenken. Ob sie sich durch fragwürdige Online-Portale informieren lassen wollen oder durch – im Großen und Ganzen – seriöse Medien. Bis sich der Markt der Nachrichten reguliert und stabilisiert hat, wird sich die Leserschaft wohl noch ein paar mal die Frage stellen: Wie konnte das passieren?

Korrumpiert Leistungsdruck?

Doch sind die Lösungen wirklich der Weisheit letzter Schluss? Wohl kaum. Bislang ist in nahezu jedem Bereich in dem es darauf ankommt, Spitzenleistung abzuliefern zu Skandalen gekommen. Nehmen wir das Beispiel Sport. Zahlreiche Spitzensportler sind für Optimierung der Siegchancen durch Doping zu Betrügern geworden. Lance Amstrong, Jan Ullrich, Marco Pantani, allesamt Radsportprofis.

Das Problem der Leistungssteigerung durch Doping ist im Sport nicht nur im Profibereich zu finden. Auch Hobby-Bodybuilder greifen zu Mitteln, um ihre Muskeln beim Aufbau zu unterstützen. Gesundheit hin, Gesundheit her.

Im Motorsport gibt es meines Wissens nach kein Doping der Fahrer an sich. Jedoch wurden Fahrzeuge durch die Anwendung illegaler Technik-Tricks „gedopt“ um die Siegchancen zu verbessern. Es gab auch schon skandalöse Manöver von Rennfahrern, aufgrund derer sie den Sieg einfuhren oder disqualifiziert wurden.

Im Bereich der Wirtschaft wird ebenfalls mit betrügerischen Handlungen wie Bestechung und Absprachen das Ziel der Gewinnoptimierung begünstigt. Von politischen Skandalen ganz zu schweigen. Überall wo es um Ansehen, Ruhm und Geld geht, wird es immer Personen geben, die mit unlauteren Mitteln arbeiten werden. Somit ist der Fall Claas Relotius einer von vielen und ganz gewiss nicht der Letzte unter all den Spitzen-Sportlern, Spitzen-Journalisten, Spitzen-Politiker, Spitzen-Banker, Spitzen-…

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