Guck hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft Horch unsanft aus seinen Urlaubsträumen zu reißen. Nun trieb er ihn vor sich her in Richtung Ostbahnhof, um ihn in den Zug nach Magdeburg zu setzten. An diesem Tag fand in der Elbestadt die Meile der Demokratie statt und Horch hatte einer Freundin versprochen sie dorthin zu begleiten. Zudem war es für Horch eine gute Gelegenheit mal aus Berlin herauszukommen und dem Stress zu entfliehen.
Horch, dessen Reisen die Quote bei den Verspätungen und Ausfall seiner Züge bei fünfzig zu fünfzig lag, ahnte nichts Gutes als der Zugbegleiter in Genthin die Reisenden über eine technische Störung auf dem Teilstück Burg – Magdeburg informierte und die daraus resultierende Weiterfahrt nach Magdeburg ab dem Bahnhof Burg mit einem Schienenersatzverkehr ankündigte. In Burg angekommen, verließ Horch den Zug und begab sich umgehend auf den Weg zum Bahnhofsvorplatz. Da er nicht der Einzige war, der mit dem Zug hier gestrandet war, befanden sich bereits dutzende von Mitreisenden auf dem Vorplatz und warteten auf die Weiterfahrt mit dem Bus. Getrennt von den Normalreisenden stand eine Gruppe von etwa fünfzig, komplett schwarz gekleideten Anhängern der antifaschistischen Bewegung die, ihre Fahnen schwenkend, ebenfalls auf die Fortsetzung ihrer Reise nach Magdeburg warteten um auf der Meile der Demokratie gegen den Aufmarsch rechter Gruppierungen zu demonstrieren. Erst jetzt realisierte Horch, dass er ebenfalls von Kopf bis Fuß in einem freundlichen Schwarz gekleidet war, was einige der vor Ort anwesenden Polizeibeamten, die in Vorahnung der noch stattfindenden Ereignisse an diesem Tag ihre Kampfmontur angelegt hatten, veranlasste, Horch, der unter den Normalreisenden stand, genau im Auge zu behalten. Nach einer guten halben Stunde, wurde Horch klar, dass sich die Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit verzögern würde und er setzte sich auf erste Bank am Platz um seiner Sucht zu frönen und einen zu rauchen. Dabei beobachtete er das Spielchen zwischen den Anhängern der antifaschistischen Bewegung, die stets versuchten sich dem Einfluss der anwesenden Beamten zu entziehen, die ihrerseits versuchten der Oppositionellen Linken ihre demokratische Regeln aufzudrängen. Der Höhepunkt in dem Schauspiel zwischen Regimegetreuen und Regimegegnern war die Rückgewinnung von Volkseigentum durch die Oppositionelle-Linke, indem sie einen nahegelegenen Brutto-Einkaufsladen besuchten und das mitnahmen, was sie als lebensnotwendig erachteten – vermutlich ohne zu bezahlen. Denn warum sonst, fragte sich Horch, hätte der Mob urplötzlich aus dem Laden stürmen und sich in sämtliche Himmelsrichtungen verteilen sollen um sich somit der Gefahr einer Festsetzung durch die Polizei zu entziehen. Horch saß derweil gelassen und entspannt auf seiner Bank, betrachtete das Treiben und fühlte sich ein wenig an seine eigene Zeit als aktives Mitglied des Straßenkampfs erinnert.
Nach einer weiteren halben Stunde, die ersten der wartenden Fahrgäste wurden in die inzwischen zur Weiterfahrt bereitgestellten Reisebusse verfrachtet, sah Horch plötzlich ein Auto, hupend direkt auf sich zu rasen. Mit quietschenden Reifen kam es wenige Meter vor der Bank auf der er saß zum stehen. Erst jetzt erkannte er seine Freundin hinter dem Steuer. Sie sprang aus dem Auto und fiel Horch, der inzwischen aufgestanden war, um den Hals. „Wie kommst du denn hierher?“ begrüßte Horch Magda. – „Das ist ja eine herzliche Begrüßung!“ und boxte Horch mit den Worten gegen die Schulter „Hallo erst mal.“ – „Ja, hi.“ erwiderte Horch, immer noch verwundert seine Freundin zu sehen. „Ich bin bloß ein wenig überrascht dich hier zu sehen.“ – „Glaubst du, ich friere mir in Magdeburg auf dem Bahnhof den Arsch ab? Als die Durchsage von der Betriebsstörung kam und keiner wusste wann es wie weitergehen würde, habe ich mich ins Auto gesetzt und mich auf den Weg hierher gemacht. Und nu´ bin ich da.“
Kurz darauf saßen die beiden im Auto und befanden sich auf den Weg nach Magdeburg. Magda merkte bezugnehmend auf die schwarze Bekleidung von Horch an: „Für einen Tag wie heute bist du ja sehr vorteilhaft gekleidet.“ und schaute Horch von oben bis unten an. „Ja“ und schaute Magda vorwurfsvoll an „ich konnte ja nicht ahnen, dass die Meile der Demokratie – ein Straßenfest, das Ventil für politische Meinungsverschiedenheiten ist.“ – „Hatte ich dass nicht erwähnt?“ fragte Magda erstaunt. “Nein, hattest du nicht, das wüsste ich.“ – „Nun gut“ lenkte Magda ein „wir wollen ja eh nicht pöbeln sondern den Tag genießen, sofern das bei der Arschkälte überhaupt möglich ist.“ Nachdem sie ein wenig kreuz und quer durch Magdeburg gefahren waren und Magda Horch ihre Stadt und deren Sehenswürdigkeiten gezeigt hatte, fuhren sie in Richtung Innenstadt, wo die Meile der Demokratie stattfand.
Etwas abseits vom Zentrum hatten sie einen Parkplatz gefunden. Auf ihrem Fußmarsch zur Meile kamen sie am Magdeburger Dom und dem Hundertwasser Haus vorbei Sie flanierten über den Breite Weg, die ehemals längste und breiteste Barockstraße Deutschlands und stießen kurz darauf auf die ersten Stände von Bürgerinitiativen, Kleinkünstler, Glühwein- und Rostbratwürstchen-Verkäufern.
In der Ferne schwebte ein Hubschrauber am Himmel und schien irgendetwas im Visier der Beobachtung zu haben. Magda die Horchs Interesse an dem Hubschrauber bemerkte, sagte: „Das ist die Polizei, die den Aufmarsch der Rechten und die Gegendemo der Linken observiert. Willst du dir das mal aus der Nähe anschauen?“ fragte sie Horch und traf damit bei ihm auf offene Ohren. „Gerne, wenn du Lust hast“. Und so begaben sie sich in die Richtung, wo sie vermuteten, dass die Gegendemonstration auf den Demonstrationszug treffen würde. Horchs sicherer Riecher für Ärger und die Ortskenntnis seiner Freundin brachten die Beiden auf Umwegen und Schleichpfaden mitten in das Geschehen rund um den Universitätsplatz. Auf der Straße die von den Polizeibeamten durch mehrere Reihen abgeschirmt war, marschierte der Demonstrationszug der Rechten, die an diesem Tag der Bombardierung Magdeburgs gedachten. In einiger Entfernung stand, von mehreren Polizeiketten abgeschirmt der Schwarze Block der Linken, die lauthals ihren Unmut über den Rechten Demonstrationszug kund taten.. Aus dem Block heraus kam es auch immer wieder zum abfeuern von Leuchtraketen und Rauchbomben in Richtung der Rechten, sodass die Einsatzkräfte der Polizei, ihrerseits mit dem Einsatz der bereitstehenden Wasserwerfer drohte sollte das Gesetzwidrige Verhalten nicht umgehend eingestellt werden. Magda und Horch betrachteten aus einer relativ sicheren Position das Treiben. Horch, der ein paar Fotos machen wollte und sich dafür näher an das Geschehen heran wagte, wurde plötzlich von drei Beamten in Kampfmontur angepöbelt:“Verpiss´ dich hier, du kannst deine scheiß Fotos woanders machen“ und versuchte Horch rückwärts abzudrängen. Horch wich keinen Zentimeter zurück und antwortete mit der gleichen Freundlichkeit in seiner Stimme: „Andern Ton, mein Freund.“ – „Was ist?“ erwiderte der Polizist, nicht glaubend wie nüchtern Horch auf das Verhalten des Beamten reagierte. „Nicht was, sondern wie bitte und ich sagte einen anderen Ton – mein Freund“. Wobei er mein Freund besonders betont hervor hob. Auch wenn er gegen die drei keinerlei Chance hatte und hinter ihm bereits ein anderer Querdenker verhaftet wurde, so war Horch keinesfalls bereit widerstandslos seine Position aufzugeben. Es gab auch gar keine Veranlassung dafür, schließlich stand er nur da und wollte Fotos machen und der Höhepunkt stand, so wie es schien erst noch bevor. Von einer auf die andere Sekunde schlug die Stimmung plötzlich um und die Menschenmenge die sich hinter den drei Beamten befand setzte sich in Bewegung und rannten in deren Richtung, direkt auf Horch und die Beamten zu. Horch, der die Situation im Rücken der Beamten beobachtet hatte, machten einen Schritt zur Seite um nicht umgerannt zu werden. Durch Horchs Sprung zu Seite, auf die heran nahenden Demonstranten aufmerksam geworden, taten es ihm die Polizisten gleich und konnten sich somit buchstäblich in letzter Sekunde davor bewahren von den Massen niedergetrampelt zu werden. Um den Ausbruchsversuch der Demonstranten aus dem Kessel den die Polizei gebildet hatte einzudämmen, setzte sich aus der entgegengesetzten Richtung zwei Einheiten Uniformierter in Bewegung die Kollegen zu unterstützen. Die drei Beamten die bei Horch standen waren schon längst wieder in dem Getümmel verschwunden und taten ihren Dienst – vermutlich mehr oder weniger nach Vorschrift. So standen Magda und Horch teilnahmslos am Rand des Geschehens, beobachteten das Treiben und machten hier und da ein paar Fotos. Kurz darauf war der Spuk vorbei.
Der Demonstrationszug der Rechten war vorübergezogen und auf dem Weg zur Abschlusskundgebung. Die Gegendemonstranten versuchten nach wie vor verzweifelt ihrer habhaft zu werden, während die Fußsoldaten der Polizei, die immer noch von den Kollegen aus der Luft unterstützt wurden, alles im Griff zu haben schienen. „Hier passiert heute nix mehr“ sagte Horch „lass und irgendwo noch etwas trinken gehen und dann ab nach Hause fahren – mir ist arschkalt.“ Magda schaute ihn verwundert an „Och schade, ich dachte wir spazieren noch ein wenig an der Elbe entlang.“ und schaute Horch dabei mit einem Blick an, der ihn hätte beinahe erweichen lassen – aber eben nur beinahe. Denn die Abenddämmerung setzte ein und die Temperaturen fielen von Minute zu Minute immer weiter unter den Gefrierpunkt. „Lass uns das morgen machen. Ich bin für heute echt durch.“ erwiderte Horch und schaute nun seinerseits mit einem mitleidigen Hundeblick, der ihm mehr Erfolg einbrachte als Magda zuvor mit ihrem bei Horch. Und so liefen sie, nachdem sie sich im Magda aufgewärmt und etwas getrunken hatten, zum Auto zurück und gelangten nach kurzer Fahrt zu Hause an. Bei Rotwein und Kerzenschein ließen sie den Abend gemütlich ausklingen.
Am nächsten morgen, Horch hatte gerade die Augen aufgeschlagen stand Magda bereits fertig angezogen für den Elbe-Spaziergang vor ihm. „Los du Sack komm in die Spur. Der Tag ist so jung wie wir nicht mehr werden und das Wetter ist perfekt. Blauer Himmel Sonnenschein, schöner kann es gar nicht sein.“ versuchte Magda Horch zu ermuntern. „Jau, am frühen morgen schon so poetisch?“ versuchte Horch mit einem Lächeln seinen Unmut über den bevorstehenden Spaziergang zu überspielen. Aber Magda die an Horch seiner Stimmlage erkannte, dass er noch immer nicht von dem Gedanken begeistert war mit ihr bei arktischen Witterungsbedingungen mehr als nötig im Freien zu verbingen, kannte keine Gnade mit ihm. „Los jetzt“ forderte sie ihn auf „Ab unter die Dusche, dann Zähne putzen und ab geht’s.“ Mühsam erhob sich Horch aus dem Bett und schlich immer noch schlaftrunken mit dem Handtuch über der Schulter ins Bad. Bald darauf befand sich Horch gemeinsam mit seiner Freundin in der Situation die er um alles in der Welt hatte verhindern wollen – frierend beim Elbe-Spaziergang. Dabei war es ganz und gar nicht so, dass er nicht gerne mit Magda etwas unternommen hätte, aber er zog es vor bei zweistelligen Minustemperaturen sich innerhalb beheizter Räumlichkeiten aufzuhalten. Es gäbe da so viele schöne Möglichkeiten dachte sich Horch – ein Museumsbesuch zum Beispiel oder sich den neusten Film im Kino anzuschauen oder gemütlich in einem der zahlreichen Cafés eine Kaffee trinken oder, oder, oder. Aber es war nicht in einem der oder wo er sich gerade befand sondern auf dem Elbe-Spaziergang!
Am späten Nachmittag war der Zeitpunkt von Horchs Abreise gekommen und Magda begleitete ihn zum Hauptbahnhof. Hey, es war schön das du hier warst, lass dir nicht so viel Zeit bis du wiederkommst“ leitete Magda den Abschied ein, während der Zug nach Berlin in den Bahnhof einfuhr. „Ich komme wieder gar keine Frage – aber an der Elbe spaziere ich erst wieder mit dir entlang, wenn die Außentemperaturen im zweistelligen Plus-Bereich liegen“ und lachte. Die beiden fielen sich in die Arme und verabschiedeten sich voneinander bevor Horch den Zug bestieg und gen Heimat los fuhr. Zwei Stunden später fuhr der Zug mit Horch an Bord im Ostbahnhof ein und eine weitere halbe Stunde später saß er in Kreuzbergs bestem Burger-Laden, dem Görli Burger und machte sich mit Heißhunger über die bestellten Cheeseburger her. Rund und gesund fiel er anschließen zu Hause in sein Bett und träumte von seinem nächsten Abenteuer.
Horch & Guck Die Meisterspione a. D.