Rosa Filmtage – Filmtage-Nachlese aus Berliner Sicht: Jubel bei der filmArche

BERLIN/HOF – So sehr wie lange nicht, waren diesmal die Internationalen Hofer Filmtage – wichtiger Branchentreff in Sachen neuer deutscher Film, Kontaktbörse, Talentschmiede und erklärtes Lieblingsfestival von vielen Fachbesuchern und Normalos – von Berliner Filmemachern geprägt.

Besonders erfreulich aus Kreuzberger Sicht ist die Erfolgsstory von „Silent Youth“: ein erstklassiger Studenten-Abschlussfilm von Diemo Kemmesies, Absolvent der filmArche e.V., einer noch relativ jungen, selbstorganisierten und als Verein geführten privaten Filmschule in der Schlesischen Straße, die sich langsam aber sicher in der Berliner Filmszene etabliert und deshalb auch immer mehr Kooperationspartner und Unterstützer findet. „Silent Youth“ ist der zweite Spielfilm von Kemmesies. Trotz sehr schmalem Budget prominent besetzt mit Josef Mattes, dem charismatischen Sohn von Film-/Fernseh-/Theater-Ikone Eva Mattes, und dem nicht weniger charismatischen Martin Bruchmann (Newcomer aus Leipzig, Absolvent der Schauspielschule Felix Mendelsohn Bartholdy in Leipzig und heuer im Hauptcast der ARDBestsellerverfilmung „Der Turm“) in den Hauptrollen.

Insgesamt kommt der Film mit nur vier Schauspielern aus und lebt von intensiv und feinfühlig inszenierten kammerspielartigen Szenen. Alles dreht sich um das zufällige Kennenlernen und die langsame Annäherung zweier junger Männer in Berlin. „Es ist eine klassische Coming-Out- Geschichte, die sich aber für die Momente interessiert, die man schnell wieder vergessen will: Das erste Ansprechen, das Knarzen des Stuhls auf dem man voreinander sitzt und nicht weiß, was man sagen soll. Und das Schweigen. Silent Youth ist ein Film über das In-sich-eingesperrt-sein, aber vor allem ist es ein Film über die Liebe“, beschreibt das Kemmesies auf der Website zum Film http://www.milieufilm.com/index/DE/filme/silent_youth.html

In Hof lief der Film nicht nur auf dem Festival, sondern war sogar als einer von acht Langfilmen für “Millbrook Autorenpreis” nominiert. Den Preis bekam allerdings nicht Kemmensis, sondern ein österreichisches Regie-Team für den Senioren-Liebesfilm „Anfang 80“. Dafür geht „Silent-Youth“ auf Festival-Welttournee: Nach der Uraufführung in Valencia, einem Startplatz in Kiew und in Hof läuft der Film auf dem Q! Festival Jakarta/Indonesien, dem Pink Screens Festival Brüssel/Belgien und dem Torino Film-Festival in Italien und ist damit die bislang erfolgreichste filmArche-Produktion. Und inzwischen gibt es auch schon konkrete Perspektiven für die Auswertung im Kino!

Den Kinostart-Termin am 29. November in der Tasche hatte schon vor der Hof-Premiere das Drama „Am Himmel der Tag“, Spielfilmdebüt und gleichzeitig Abschlussfilm von Pola Schirin Beck (1982 in Berlin geboren, Regiestudium an derHFF „Konrad Wolf“ Potsdam Babelsberg, ein Kurzfilm von ihr lief bereits 2008 auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino) und einer der gefragtesten Filme des Festivals. Als erstes Filmprojekt, das der RBB mit seiner neuen Initiative für Kinofilme unterstützt, und mit der neuen Jung-Tatortkommissarin Aylin Tezel in der Hauptrolle (mit grade mal 28 Jahren ist sie seit diesem Jahr als jüngste Tatort-Ermittlerin in Dortmund im Einsatz) stand der Film bei den Festival-Besuchern und der Jury ganz hoch im Kurs: Juan Sarmiento und David J. Rauschning (beide ebenfalls HFF Potsdam) wurden für Kamera bzw. Schnitt von „Am Himmel der Tag“ mit dem wichtigen „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ und dem dazu gehörigen Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet.

Ein Hingucker bei den Kurzfilmen war „You missed Sonja“ von Félix Koch, nach der Kurzgeschichte „Rest Stop“ von Stephen King in Potsdam-Babelsberg gedreht. Während der 21 Minuten Laufzeit steigert sich die Handlung vom alltäglichen Beziehungszoff zum absoluten Alptraum und endet noch bösartiger als das Original.

Mehrmals täglich Rosa

Special Guest der 46. Internationalen Hofer Filmtage war Rosa von Praunheim, Stamm- und Dauergast in Hof und dem Festival seit eh und je verbunden, wichtiger Vertreter des postmodernen Films, bis 2006 Professor für Filmregie an der HFF Potsdam-Babelsberg, „Schwulenpabst“ und Wegbereiter der Schwulen- und Lesbenbewegung in Deutschland. Für sein Lebenswerk und im Vorfeld seines 70. Geburtstags wurde er geehrt und gefeiert. Diesen Umstand nahm wiederum der umtriebige Jubilar zum Anlass, sage und schreibe 70 (in Worten: siebzig!) neu gedrehte Filme mitzubringen, die alle exklusiv in Hof das erste Mal gezeigt werden sollten, gerade noch rechtzeitig vor der Free-TV- und Kino-Premiere zum runden Geburtstag Ende November. Wurden sie auch, wenn auch gekürzt, verteilt auf sämtliche Festivaltage und sämtliche Tageszeiten. Dazu kam dann noch in der Sektion Dokumentarfilme die Hommage der „Rosakinder“ Julia von Heinz, Chris Kraus, Axel Ranisch, Robert Thalheim und Tom Tykwer für ihren Lehrer, Freund und Mentor.

Interessant und sehenswert war das eigentlich alles. Allerdings war das XXL-Special in Hof mit der unangenehmen Nebenwirkung verbunden, dass die Startplätze für die anderen Bewerber etwas weniger wurden. Und so hatten zumindest ein paar Filmemacher deswegen das Nachsehen. Prozentual gesehen relativiert sich das zwar, nachdem von rund 3.000 Einreichungen bzw. in Frage kommenden Filmen ohnehin nur eine Auswahl von 181 Filmen gezeigt werden konnte, eigenhändig und gewissenhaft ausgewählt und alles selber angeschaut von Festivalleiter Heinz Badewitz. Trotzdem bleibt im Nachhinein ein etwas schaler rosa Nachgeschmack.

Wem Rosa gefällt, der kann die ganzen 70 Filme jetzt auch auf DVD erwerben oder in seinem neuesten Buch „Ein Penis stirbt immer zuletzt“ (mit 70 Gedichte, 70 Zeichnungen, 7 Kurzgeschichten – und zufällig ausgerechnet grade nur noch 7 Exemplare verfügbar …) schmökern. Und im Haus am Lützowplatz wird bis zum 17. Februar, also bis zum Beginn der Berliner Festspiele, die Ausstellung „Rosen haben Dornen“ gezeigt, mit Filmausschnitten, Fotografien, Zeichnungen und Installationen.

Geschrieben von Jutta Wunderlich

 

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