Leserbrief Paradiesische Ausgangslage für Investoren

Berlin war zwar arm aber sexy – nun sterben die Berliner Kieze aus. Erst herrschten jahrelang typisch Berliner Verwahrlosung und sogar ein Ehrenmord war 2012 im Kiez zwischen Stresemannstraße, Bernburger- und Köthener Straße möglich. Nun ziehen seit spätestens Anfang 2013 auch hier die Global Player durch den Kiez und gentrifiezieren was das Zeug hält zu Gunsten versprochener Renditen an die Auftraggeber. Noch schnell vor der Gesetztenänderung zur Kappungsgrenze wurden erste Mieterhöhungen verschickt. Mann weiß offenbar immer, was wo und wann hinter den Kulissen läuft, hat seine Netzwerke und Lobbyisten am Hof der Bundesregierung oder beim Senat.

So wundert es kaum, dass die wohl letzten Filetstücke mit ehemaligen Sozialwohnungen in der Nähe zum Potsdamer Platz zum Ziel von Immobilienplanern wurden, die »Großes« vor haben. Tagsüber waren die Parkplätze hier seit einigen Jahren bereits heiß umkämpft wegen der letzten parkscheinfreien Zone im Umkreis von mehreren Kilometern. Erst in der Nacht wurde am tatsächlichen Autoparkbedarf noch sichtbar, dies war bisher eine Lebenszone, wo Menschen mit niedrigem Einkommen und eher wenigen eigenen Fahrzeugen wohnten. Es gab Parkplätze ohne Ende! Diese Zeiten aber sind wohl in Kürze endgültig vorbei. Aus einer »Turmstraße« soll eine »Schlossstraße« gemacht werden, geht es nach den aktuellen Investoren.

Die Nähe zum Potsdamer Platz, aber vor allem das Versagen des Berliner Senats im Punkto Anschlussfinanzierung von sozialem Wohnungsbau bot und bietet Investoren paradiesische Ausgangslagen in Berlin, weil die zumeist noch geringen Mieten im Verhältnis zu den deutschen Hochburgen, richtig aufgestockt werden können und alle 15 Monate automatisch um das Maximum (immerhin nur noch 15% in Berlin) steigen sollen. Modernisierungen die zwar den so genannten Wohnwert steigern sollen, dem Mietern aber tatsächlich nur wenig bis keinen Nutzen bringen, sind da noch nicht mit einbezogen aber eben gesetzlich zulässig. Und als ob das noch nicht reicht, soll der Mieter solchen gesetzlich bereits erzwungen Modernisierungen auch noch zustimmen! Das ist absurd. Mieten von gleichgroßen und ausgestatteten Wohnungen vertriebener Mieter im Viertel stiegen bei Neuvermietungen bereits um 100 %. Von durchschnittlich 5 Euro auf 10 Euro pro qm Fläche. Die Auswirkungen auf den nächsten Mietspiegel kennt dann jeder. Alte Mieter werden derzeit mit dem Maximum an Mieterhöhung und Modernisierungen sowie Klagen überzogen, wenn Sie nicht spuren wie das die neuen Vermieter wollen. Berlin war arm aber sexy; inzwischen ist es ein Disneyland für Touristen und die viel geschundenen Schwaben, zumindest im historischen Kernbereich der ehemaligen Berliner Mauer. Aber auch Münchner Global Immobilien Firmen und ihre Berliner Ableger haben sich längst aufgemacht, um mitzumischen im großen Immobiliengeschäft in Berlin. Hier ist noch richtig Luft nach oben, meint man dort. Und die vielen gut verdienenden Bediensteten der Institutionen von Bund, Ländern usw. wollen auch möglichst nah am Puls der Stadt wohnen und daran teilhaben. Nun nutzen die ganz kreativen neuen Global Player den Standort auch noch als historische Kulisse für Touristen und potentielle Neumieter, werben damit in Wohnungsangeboten, obwohl die Mauer mindestens 300 m entfernt in anderer Straßenverlaufsrichtung verlief. Ahnungslose Berlin-Besucher aus aller Welt glauben sich an der Ecke Bernburger/Köthener Straße auf einer ehemaligen Grenzstraße und staunen nicht schlecht, wenn man ihnen mitteilt, dies sei falsch.

Die Berliner Senatpolitik ist aufgefordert, denn auch dafür sind die politischen Vertreter aller politischen Parteien gewählt worden, den Kiez auch hier im kleinen Kiezeck zwischen Deutschlandhaus, Potsdamer Platz und Berliner Bunkermuseum vor einer zum Teil aggressiven Überformung der bisherigen Mieterstruktur zu schützen. Wo sind denn die Kinder hin, die bis letzten Sommer auf dem Spielplatz hinterm Haus spielten. Man hört sie nicht mehr. Wo sind die vielen Familien geblieben, vor allem aber die Mirganten? Und wo bleiben unsere Werte, die so sehr auf Menschenwürde und Menschenrechte fixiert sind, besonders, wenn es andere betrifft?

Wir alle sind aufgefordert, auch vor der eigenen Haustür zu kehren, unsere Hausaufgaben zu machen und den Alt-Berlinern Wohn- und Lebensraum zu ermöglichen ohne ständige Angst vor unbezahlbaren Mieten. Vermieter dürfen und sollen verdienen, auch, weil sie mit der Vermietung ihrer Immobilie Verantwortung übernehmen für andere. Aber es kann nicht sein, dass Berlin zum Spielplatz nationaler und internationaler Investoren wird, die sich nicht offen zeigen und stattdessen Anwaltsbüros vorschicken, um ökonomisch alles herauszuholen, was »gesetzlich« zulässig ist. Weder Miethaie noch Mietnomaden sind die Lösung.

Geschrieben von Dr. Henning Pietzsch

 

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